Besonders hell: Das Lichtermeer auf dem Union Square, wenige Minuten von "Point Zero" entfernt. So nennen New Yorker die Stelle, an der am 11. September die Hölle ausgebrochen war. Das Candlelight-Meeting am Union Square war weder organisiert, noch war es behördlich genehmigt. Aber wer kümmert sich in diesen Tagen schon um Behördengenehmigungen, wo es doch um viel Wichtigeres geht: Um die Bewältigung von Trauer und Schmerz. Um die Toten von Manhattan. Um die Verwundeten in den Krankenhäusern. Und um den Frieden in der Welt.
"Give Peace a Chance"
"Nie wieder Krieg" steht auf dem T-Shirt, das sich der Mann mit dem anderen Mann in der Hand angezogen hatte. "Make Love - Not War" trägt das dralle Mädchen auf dem etwas engen Top. Ein weißer Pudel ist in eine amerikanische Flagge drapiert. Ein alter Mann mit Turban und Pfeife fängt irgendwann an, "Give Peace a Chance" zu summen. Und plötzlich singen Tausende mit. Singen mit John Lennon und dem alten Mann mit Turban.
Im Laufe des Abends wird die Lichterfeier am Union Square zum Treffpunkt für links und rechts, schwarz und weiß, arm und reich. Und für Gloria Riley. Gloria kommt aus Brasilien. Sie war auf einer Reise um die Welt, als das Inferno in Manhattan ausbrach. Doch nachdem die Monster von Manhattan die Twin Towers in Schutt und Asche gelegt hatten, durfte kein Flugzeug mehr fliegen. Zuerst sei sie nur geschockt gewesen, als sie von den Terroranschlägen gehört habe. "Dann war ich ärgerlich, weil ich nicht weiter reisen konnte". Dafür schämt sich Gloria heute. Sie werde irgendwann, irgendwie schon weiter kommen, sagt sie. Tausende andere nicht. Sie liegen noch unter den Trümmern am "Point Zero".
Singen unterm Ahornbaum
Die Stimmung am Union Square verändert sich den ganzen Abend über kaum. Friedensgesänge. Schluchzen. Und überall brennende Kerzen und Flaggen. Irgendwann ändert sich der Geräuschpegel. Von der östlichen Ecke des Stadtparks her sind arabische Gesänge zu hören. Es können auch Gebete sein. Fremdländisch jedenfalls. Eine Handvoll dunkelhäutiger Menschen - Frauen, Männer, ein Kind - haben sich unter einem ausladenden Ahornbaum zu ihrem eigenen Kerzen-Meeting eingefunden. Was sie singen, verstehe ich nicht. Was sie sagen, gleich gar nicht. Und das Plakat, das eine Frau etwas hilflos in den Himmel hält, kann ich nicht entziffern. Ich frage den Mann neben mir. Er kennt die Sprache. "Nicht alle Araber sind Mörder", stehe auf dem Plakat, sagt er.
Ich will weg hier. Diese ständig feuchten Augen machen mir zu schaffen. Im Weggehen blicke ich noch einmal zurück. Die arabische Gruppe ist nicht mehr da. Einfach verschwunden. In einer dunklen Straßenschlucht, ganz in der Nähe von "Point Zero".