Jahrelang hatten NRW-Kommunen, die Aktien von RWE hielten, viel Freude an ihrem Investment, denn der Dax-Konzern bescherte ihnen regelmäßig auskömmliche Dividenden, also Gewinnausschüttungen - ein Segen für so manche klamme Stadt oder Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Doch seit die Energiewende den Stromversorger in eine Krise gestürzt hat, sind auch die kommunalen Anteilseigner in der Zwickmühle: Der Aktienkurs hat sich innerhalb der vergangenen 12 Monate fast halbiert, der nachhaltige Gewinn ist um ein Drittel eingebrochen, in gleicher Größenordnung sinkt auch die Dividende. Jetzt muss RWE sein Eigenkapital aufstocken, dafür werden neue Aktien verkauft: 2,5 Milliarden hofft der Konzern auf diese Weise einzusammeln. Dabei ist vorgesehen, dass die bisherigen Aktionäre noch einmal Geld investieren, um die neu auf den Markt kommenden Anteile zu kaufen.
Niedrigerer Gewinn reißt Haushaltslöcher
Geld, das die Kommunen nicht haben: Viele NRW-Städte sind so klamm, dass die niedrigere Gewinnausschüttung bereits ein zusätzliches Loch in den Haushalt reißt. Beispielsweise Mülheim an der Ruhr: Die Stadt hält rund 9,7 Millionen RWE-Aktien, die Dividende von 3,50 Euro je Aktie spülte im vergangenen Jahr knapp 34 Millionen Euro in die Stadtkasse. "Mülheim hat ein Haushaltsdefizit im zweistelligen Millionenbetrag. Da kann man 10 Millionen Euro, die jetzt weniger ausgeschüttet werden, nicht einfach verschmerzen", sagt Hendrik Dönnebrink, Geschäftsführer der Mülheimer Beteiligungsgesellschaft, die das RWE-Paket hält. Die rasante Talfahrt des Aktienkurses macht ihm weniger Sorgen: "Wir sind langfristige Aktionäre." "Langfristig" heißt seit 1937, so lange hält die Stadt schon ihren RWE-Anteil. Dönnebrink ist zuversichtlich: "Wir glauben, dass sich der Kurs von RWE wieder erholen wird." Doch eine Kapitalerhöhung überfordert die klamme Kommune: "Falls man mit frischem Geld einsteigen müsste, wäre das wohl kaum möglich", sagt er.
Hoffnung auf eine schnelle Erholung
In Oberhausen sieht es nicht viel anders aus. Über die Verkehrsbetriebe hält die Stadt 1,13 Millionen RWE-Aktien, die im vergangenen Jahr fast vier Millionen Euro einbrachten. Dieses Jahr würde es bei gleichbleibender Ausschüttungsquote, die RWE anstrebt, mindestens eine Million weniger. "Eine Million ist eine Menge Geld in einer Nothaushaltskommune," sagt Stadtsprecher Uwe Spee. "Auf jeden Fall ist das eine Summe, die weh tut." Die Kapitalerhöhung will Oberhausen zunächst abwarten: "Wir halten erst einmal die Füße still." Ein Verkauf des Pakets ist nicht geplant – wie in Mülheim so hofft man auch in Oberhausen, dass sich der Konzern wieder erholt.
Steuervorteile der Kommunen in Gefahr
Viele Kommunen haben ihr Aktienpaket in eine gemeinsame Holding eingebracht, die ihre Anteile bündelt. Das Ziel: Gemeinsam kommen sie über die wichtige Schwelle von 15 Prozent der RWE-Anteile. Ab diesem Volumen können die Städte und Gemeinden vom sogenannten Schachtelprivileg Gebrauch machen: Ihre Steuerlast sinkt, weil sie die Dividendeneinnahmen aus den RWE-Aktien mit eigenen Gewerbebetrieben, beispielsweise aus dem öffentlichen Nahverkehr, verrechnen dürfen. Dadurch fallen insgesamt weniger Körperschafts- und Gewerbesteuern an. Das Problem: Durch die geplante Ausgabe neuer Aktien sinkt prozentual der Anteil der kommunalen Holding unter die steuerlich wichtige Schwelle von 15 Prozent. Das ist noch schmerzhafter als die niedrigere Dividende, denn nur wenn die Städte und Gemeinden die Kapitalerhöhung mittragen, können sie verhindern, dass ihr Anteil verwässert wird.
Allerdings sind nicht nur die Kommunen, die ihre Aktien in der Holding eingebracht haben daran interessiert, dass ihr prozentualer Anteil an RWE erhalten bleibt. "Kein Anteilseigner ist begeistert, wenn eine Kapitalerhöhung geplant ist", sagt Ernst Gerlach vom Verband der kommunalen RWE-Aktionäre (VKA). Insgesamt ist sogar ein Viertel aller RWE-Aktien in kommunalem Besitz, sie verteilen sich auf rund 100 Städte, Gemeinden und Kreise, allerdings sind nicht alle in NRW: Auch Kommunen aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen sind vertreten.
Städte haben kein Geld für neue RWE-Aktien
"Ich kann mir kaum eine Kommune vorstellen, die eine mögliche Erhöhung ihres Anteils aus baren Mitteln stemmen kann. Das müsste dann also über Kredite finanziert werden. Gerade bei denen, die eine Nothaushalt haben und unter kommunaler Aufsicht stehen, wird das natürlich schwierig", sagt Gerlach. Würden die Kommunen insgesamt entsprechend ihres Anteils von rund 25 Prozent an RWE die Erhöhung mittragen, müssten sie zusammen genommen mehr als 600 Millionen Euro aufbringen. Zum Vergleich: Durch die niedrigere Dividende entgehen ihnen 2011 insgesamt im Gegensatz zum Vorjahr etwa 150 Millionen Euro. "Wir möchten natürlich nicht, dass unser Anteil verwässert wird. Es geht nicht nur um Steuervorteile, sondern auch um Mitbestimmungsrechte", sagt Gerlach. An einer Lösung würde bereits gearbeitet. Der VKA-Geschäftsführer glaubt ebenfalls an eine langfristige Erholung des Dax-Konzerns und daran, dass die Energiewende neue Chancen mit sich bringt, nicht nur für den Energiekonzern: "Bisher wurden die Möglichkeiten der Kooperation etwa zwischen den dezentralen, kommunalen Stadtwerken und dem zentralen Energieversorger RWE nicht optimal genutzt", sagt er. Er sieht Möglichkeiten zur Kooperation auf verschiedenen Gebieten, von Netzen bis zur Energieproduktion. "Das könnte eine Win-Win Situation für beide Seiten werden."
"Die fetten Jahre sind vorbei"
Anders sieht das Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf. "Die Kommunen haben viel Kapazität aufgebaut in der Stromversorgung, sie haben sich mit ihren Stadtwerken eigene Versorger gebastelt, in vielen Fällen in Konkurrenz zu RWE. Dadurch entsteht automatisch ein Spannungsfeld." Dennoch hält er es nicht für unwahrscheinlich, dass Städte, Kreise und Gemeinden versuchen werden, die Kapitalerhöhung mitzutragen, um ihren prozentualen Anteil aufrecht zu erhalten. Eine Möglichkeit wäre der Verkauf von Bezugsrechten: Für den Fall, dass die Kommunen als Altaktionäre Bezugsrechte für neue Anteile erhalten, könnten sie diese untereinander handeln. "Starke Kommunen könnten so für die Schwachen Anteile kaufen und insgesamt wieder auf den 15 Prozent-Anteil erhöhen." Eine rosige Zukunft für RWE-Aktionäre sieht er dennoch nicht: "Die fetten Jahre sind vorbei."