Erdbeben, Tsunami, Atomunfall, Kernschmelze, Verseuchung - schon Erwachsenen fällt es schwer nachzuvollziehen, was die Katastrophe in Japan für Mensch und Umwelt bedeutet. Kinder können sie erst recht nicht einordnen. Umso weniger, je jünger sie sind. Das merken auch Lehrer. "Zuerst waren die Schüler geschockt. Die Bilder über die Wasserflut haben sie verängstigt. Sie fragten, ob so etwas auch bei uns passieren kann", erzählt die Lehrerin Alexandra Scharner, die an der Carl-Sonnenschein-Grundschule in Mönchengladbach unterrichtet.
Dort wurde der reguläre Religionsunterricht in einigen Klassen ausgesetzt und durch das aktuelle Thema ersetzt. "Bei den Dritt- und Viertklässlern haben wir gesehen, dass sie eine Gefahr für ihr eigens Leben sehen. Wir mussten sie beruhigen. Andererseits zeigen viele großes Mitgefühl. 'Wie können wir helfen? Wo können wir spenden?', fragen sie zum Beispiel", erzählt Scharner.
Ausnahme-Situation für Lehrer
Die Schüler wollen auch wissen, wie ein Atomkraftwerk funktioniert und was ein Super-Gau ist. Genauso sind sie an Zahlen interessiert: Wie viele Menschen werden noch vermisst? Wie viele sind denn nun wirklich tot? Und haben die Überlebenden denn genug zu essen? Für Lehrer ist diese Ausnahme-Situation eine Herausforderung: "Wir achten darauf, dass sie alles verstehen und ihre Ängste abbauen, versuchen aber trotzdem nichts zu beschönigen", sagt die Grundschullehrerin Scharner.
In ihrer dritten Klasse wurden Fragen aufgeschrieben und an die Tafel gehängt. Sobald jemand eine Antwort hat, schreibt er sie auf und dann wird mit der Lehrerin darüber gesprochen. In einer anderen Klasse der Schule haben Kinder Gebete formuliert und sie als Buch zusammengebunden.
"Jeder will alles mitbekommen"
Auch der Gymnasiallehrer Mario Wirth hat seine Unterrichtsreihe in Physik unterbrochen. Seine Sechstklässler am Goethe-Gymnasium in Bochum sind extrem aufmerksam, wenn es nun um Atomkraftwerke geht: "Es ist im Unterricht eine Ecke ruhiger als sonst. Jeder will alles mitbekommen. Viele sorgen sich darüber, was genau passiert ist und ob das gefährlich für unser Gebiet ist."
Schüler einer neunten Klasse sind von sich aus auf Mario Wirth zugegangen und haben ihn gefragt, ob er das Thema Atomkraft aufgreifen könnte. Für den Lehrer bedeutet dieser Erklärungsbedarf eine intensivere Vorbereitung, um alle physikalischen Zusammenhänge etwa rund um die Kernschmelze bis ins Kleinste erklären zu können, denn die älteren Schüler wollen mehr Sachinformationen.
Eltern sollten gelassen bleiben
Wie intensiv zu Hause über die Katastrophe gesprochen wird, merken Lehrer an dem Fragebedürfnis ihrer Schüler. Der Kölner Psychologe Michael Kopper, der auch traumatisierte Kinder behandelt, sieht Eltern jetzt sehr gefordert: "Orientierung, Schutz und Halt - das brauchen Kinder nun mehr als sonst." Das gilt vor allem für die jüngeren, die sehr auf ihre Eltern fixiert sind. "Sie spüren sehr genau, wenn die Mutter Angst hat und das überträgt sich auf sie. Aber genauso ist es mit Sicherheit: Sind die Eltern sicher, sind es auch ihre Kinder." Daher sei es wichtig, als Eltern gelassen zu bleiben.
Keine Frage ist unsinnig oder peinlich
Der Psychologe rät zudem, klar zu signalisieren: "Ich nehme dich ernst, keine Frage ist unsinnig oder zu peinlich." Die Antworten müssten nachvollziehbar und altersgerecht sein, so Kopper weiter. Und Vorsicht vor zu vielen Detailinformationen: "Denn damit kann man Kinder überfordern und neue Unsicherheiten auslösen." Wenn die Kleinen mehr wissen wollen, fragen sie in der Regel, falls ein offenes Gesprächsklima besteht, von sich aus nach.
Kinder verarbeiten manchmal für sich alleine
Nach Ansicht des Psychologen sollten Eltern mit offenen Karten spielen, wenn sie etwas nicht beantworten können. "Dann können sie sich gemeinsam mit ihrem Kind ein Sachbuch nehmen oder im Internet recherchieren." Auch Berichte im Fernsehen sollten gemeinsam angeschaut werden. Vor allem Kinder im Vorschulalter sollten nicht allein fernsehen. Außerdem könnten Eltern mit Sohn oder Tochter zur Bank gehen und Geld spenden. "Spenden kann das Gefühl der Ohnmacht nehmen."
Keinen Grund zur Panik sieht der Trauma-Experte Kopper, wenn kleine Kinder zum Beispiel Bilder mit Rauchwolken malen. "Man kann versuchen, mit ihnen über diese Bilder zu sprechen, sie aber keinesfalls davon abhalten, weitere zu malen - auch wenn sie nicht darüber sprechen wollen." Es sei ganz normal, dass Kinder versuchten, gewisse Themen mit sich selbst auszumachen.
Das Gute in Katastrophe sehen
So paradox es sich vor all dem Leid in dem Katastrophengebiet in Japan anhört: "Eltern sollen auch die positiven Dinge der Katastrophe darstellen, soweit sie vorhanden sind", sagt Kopper. Die neu entflammte Diskussion um Atomkraft in Deutschland und das Abschalten der alten Meiler gehörten dazu. Das mache Kindern Mut.