Bereits im Kulturhauptstadtjahr 2010 feierte die ungewöhnliche Freiluftveranstaltung "Emscherkunst" Premiere. 40 Künstler bespielten damals mit ihren Ideen, Skulpturen und Konzepten einen öffentlichen Raum zwischen Recklinghausen und Oberhausen. Herzstück der Ausstellungsfläche war schon damals die Emscherinsel - ehemals Niemandsland zwischen Kanal und Köttelbecke. Das kam an. 200.000 Besucher zogen damals los, um sich auf einer längst ergrünten Industriebrache entlang der Emscher Kunst anzuschauen - draußen und kostenlos.
"Wir wollen hier nicht Documenta spielen"
Nun also folgt ab dem 22. Juni 2013 für genau 100 Tage eine Neuauflage der Emscherkunst. Wieder haben Künstler über Ideen gebrütet, wie sie den Strukturwandel im Revier und die anstehende Renaturierung der Emscher künstlerisch begleiten könnten. Allerdings gab es von den Machern um Kurator Florian Matzner und Ausstellungsleiterin Simone Timmerhaus keinerlei Vorgaben für die Künstler. "Wir wollen hier nicht Dokumenta spielen", so Florian Matzner am Mittwoch (20.02.2013) bei einer ersten öffentlichen Konzeptvorstellung in Essen. "Wir wollen ein Kunstprojekt für die Menschen im Ruhrgebiet auf die Beine stellen. In der Hoffnung, dass man die Leute auf die Straße bekommt."
Befreiung oder Chaos?
"Künstler eröffnen oft ganz neue Blicke auf eine Landschaft," sagt Ausstellungsleiterin Simone Timmerhaus. Und in der Tat. Wer die Ideen studiert, der staunt zuweilen, wie Kunst Banales plötzlich wieder ins Bewusstsein rücken kann. Nehmen wir zum Beispiel den tanzenden Strommasten der Berliner Künstlergruppe "Inges Idee". Thomas Schmidt, der an diesem Abend stellvertretend für seine Künstlerkollegen auf dem Podium in Essen sitzt, erklärt das so: Man habe sich einen Strommast als Kunstobjekt ausgesucht, weil es davon so viele im Revier gibt. Nur dieser hier steht beschwingt auf einer grünen Wiese, hat seine Kabel abgestreift und sich befreit. Ein Seitenhieb auf die Energiewende? Schmidt lächelt und lässt es offen. Vielleicht drohe uns ja Befreiung, vielleicht aber auch Chaos.
Auch der aus Duisburg stammende Künstler Reiner Maria Matysik hat Großes im Sinn. Eine imaginäre Wolkenmaschine will er schaffen. In seiner Vorstellung sollte nämlich ein Fluss, der so lange eingezwängt, verdreckt, wieder gereinigt und durch Schleusen gepumpt wurde, lieber als Wolke enden, statt irgendwann einfach nur in den Rhein zu münden und damit zu verschwinden. Für die Emscherkunst will er nun einen begehbaren Pavillon in Wolkenform errichten, um den Besuchern darin zu erklären, was es mit dem ewigen Wolkenkreislauf auf sich hat.
Sperrmüll wird Design
Ein sehr volksnahes Projekt hat sich Anna Witt gemeinsam mit einem Team von Architekten und Künstlern in den Kopf gesetzt. Die 32-Jährige will auf den Straßen von Duisburg - Marxloh Sperrmüll sammeln, um daraus Designermöbel zu machen. Die Unikate will die Künstlerin aber nicht ausstellen, sondern sie einfach am Straßenrand stehen lassen - Mitmahme ausdrücklich erlaubt.
Ai Weiwei kommt nicht - aber seine Zelte
Prominentester Vertreter der Emscherkunst ist der chinesische Künstler Ai Weiwei, der in seinem Heimatland immer noch unter Arrest steht. Sein Beitrag für das Ruhrgebiet: Der Künstler lässt 1.000 Zelte anfertigen, in denen die Ausstellungsbesucher auf dem Gelände die Nacht verbringen können. Aufgestellt an zehn verschiedenen Campingstationen sollen die Zelte nicht nur die Kunstorte miteinander verbinden, sondern vor allem ihre Bewohner.
Kläranlage wurde Bürgerpark
Wer nicht auf den Ausstellungsbeginn im Sommer 2013 warten kann, dem sei gesagt, dass auch viele Installationen von 2010 das Kulturhauptstadtjahr überdauert haben. So wurde in Bottrop eine ehemalige Kläranlage zu einem öffentlichen Park umgestaltet und das Klärbecken kunstvoll beleuchtet. In Gelsenkirchen wurde eine Felsformation aus einem amerikanischen Nationalpark nachgebaut. Wer daran lauscht, hört Musik. Und auch das gelbe Klohäuschen, das schon 2010 Meter hoch über der Emscher schwebte, kann noch besichtigt werden.
Apropos Klo: Nach wie vor steht die Emscher - als einstiger Abwasserfluss und Kloake des Reviers - für eines der größten Renaturierungsprojekte weltweit. Bis 2020 soll der Fluss auf einer Länge von 81 Kilometern zu einem naturnahen Fluss umgebaut werden. Kunst könne das manchmal besser vermitteln, als die beste Öffentlichkeitsarbeit, sagt sogar Jochen Stemplewski, Chef der Emschergenossenschaft. "Und wer weiß, vielleicht spielt die Emscherkunst ja 2020 doch in einer Liga mit der Documenta."