Entspannt bummelt Familie Fujitani am Samstag (12.03.2011) über die Immermannstraße in Düsseldorf. Heute Morgen sind Vater Kazuhiro, seine Frau Yuka und die eineinhalbjährige Tochter Yui in Düsseldorf angekommen um einzukaufen. Eigentlich wohnen die drei Japaner in Maastricht. Doch eingekauft wird in Düsseldorf, denn die Stadt ist das inoffizielle Zentrum für Japaner in Europa. Auf der Immermannstraße gibt es japanische Buchläden, Supermärkte, Friseure, eine japanische Reinigung und sogar eine japanische Videothek. Ein Stück Heimat bei schönstem Frühlingswetter.
Dass es in Japan möglicherweise zum Super-GAU gekommen ist, davon ist bei Familie Fujitani nichts zu spüren. Ein bisschen in Sorge ist Mutter Yuka allerdings schon, doch nicht wegen der Kernkraft: Nächste Woche, so erzählt sie, wollte sie eigentlich mit ihrer kleinen Tochter Yui nach Japan fliegen, um Verwandte zu besuchen. Doch der Tsunami gestern habe den Flughafen überflutet, sagt sie. Jetzt weiß sie nicht, ob ihr Flug stattfindet. Außerdem hat sie Angst vor Nachbeben, berichtet Frau Fujitani.
Schwerpunkt
Japanische Gelassenheit
Es sind vergleichsweise alltägliche Probleme nach der großen Katastrophe, die die Japaner in Düsseldorf umtreiben. Die drohende Atomkatastrophe quittieren die meisten Japaner dagegen mit einem Schulterzucken und nehmen sie mit asiatischer Gelassenheit. Für viele Deutsche, die seit Jahrzehnten erbittert über die Atomkraft streiten, eine mitunter befremdliche Reaktion. Auch Yomiko Yoshizawa macht sich wenig Sorgen. Die 41-jährige Japanerin lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Vor einem japanischen Buchladen hat sie einen Stand aufgebaut und verkauft dort samstags japanische Backspezialitäten. Sie hat zwei kleine Kinder, mit denen sie irgendwann einmal wieder in Japan leben will. Doch eine mögliche Verstrahlung macht ihre keine Sorgen: "Da kann man nichts machen. Es gab auch schon woanders Unfälle, die ganze Welt ist verstrahlt", sagt Yoshizawa.
Verwandte sitzen in Tokio fest
Nebenan im japanischen Supermarkt räumt Okamura Masaki gerade die Regale ein. Der 27-jährige lebt seit zwei Jahren in Deutschland. Natürlich steht auch er per Internet in Kontakt mir der Heimat. Allen seinen Verwandten gehe es gut, berichtet er. Auch er hat auf Nachfrage keine Angst vor radioaktiver Strahlung: "In Tokio ist alles okay", sagt Okamura. Die gefährlichen Atomkraftwerke seien weit weg von der Hauptstadt. Er macht sich viel mehr Gedanken darüber, dass viele Verwandte in Tokio festsitzen. Sie kamen gestern nicht von der Arbeit nach Hause, weil der Zugverkehr zusammengebrochen ist.
Angst vor wirtschaftlichen Folgen
Sorgen über den drohenden Super-GAU, so scheint es, machen sich eigentlich nur die Deutschen in der japanischen Community in Düsseldorf. Bertold Reul ist Direktor des Hotel Nikko. Viele japanische Geschäftsleute steigen in seinem Haus ab. Reul hat gestern zehn Stunden vergeblich versucht, Freunde in Tokio zu erreichen. Das Handynetz sei völlig überlastet, berichtet er. "Wir haben hier momentan eine sehr turbulente Situation", sagt Reul. Für seine 40 japanischen Mitarbeiter hat er Telefone eingerichtet, mit denen sie nach Hause telefonieren können. Auch ihn als langjährigen Kenner erstaunt die asiatische Gelassenheit seiner Mitarbeiter. "Erstaunlicherweise sind die entspannter als ich", wundert sich Reul. "Ich hoffe, dass das anhält und nicht auf einem Mangel an Informationen beruht."
Denn trotz der medialen Dauerberichterstattung sind Fakten aus der Krisenregion zur Zeit Mangelware: "Gerade die Dimension der AKW-Geschichte ist den jungen Mitarbeitern noch nicht bewusst", vermutet Reul. Der Hoteldirektor sorgt sich auch um wirtschaftliche Konsequenzen, die die Katastrophe für sein Hotel haben könnte. "Momentan haben wir allerdings kaum Stornierungen", sagt Reul. Doch wie es weitergeht, weiß auch er nicht. Für Montag hat er eine Krisensitzung des Managements anberaumt. Dann soll auch über Spenden für die zerstörten Regionen beraten werden und über direkte Hilfen für Angehörige von Mitarbeitern des Hotels, die in Japan betroffen sind.
"Die Situation ist sehr ernst"
Nach langem Suchen und vielen Interviews findet der Reporter doch noch einen Japaner, dem die Berichte über einstürzende und unkontrollierbare japanische Atomkraftwerke Angst einjagen: Shigeki Hayashi kauft auf der Immermannstraße gerade mit seinem achtjährigen Sohn und seiner neunjährigen Tochter ein. Im April wollte Hayashi eigentlich mit seiner Familie zum Urlaub nach Japan. Jetzt ist er unsicher, ob er fliegen soll. "Die Situation ist sehr ernst", sagt Hayashi sorgenvoll.