Die Bilder der enormen schwarzen Wassermassen, in denen Autos, Busse, sogar Gebäude treiben wie Spielzeug, sind seit Tagen in den Nachrichten zu sehen. Nach und nach tauchen immer mehr Videoclips erst bei Youtube, mit Verzögerung dann in den internationalen Medien auf. Filmsequenzen aus Büros, in denen große Schränke sekundenlang wackeln und umstürzen, aufgenommen von Menschen während des vielleicht stärksten Erdbebens, das Japan je erlebt hat. Zu sehen sind in den Videos von verschiedenster Länge und Qualität die unmittelbaren Auswirkungen und vor allem die Wucht der Katastrophe.
Und dennoch: Die meisten Japaner wirken gefasst, reagieren zügig, aber besonnen. Bilder von schreienden, weinenden Menschen finden sich praktisch nicht. Anders ist das, wenn ausländische, etwa englischsprachige Stimmen zu hören sind; die Panik des Moments wird beinahe fühlbar und scheint mit den Bildern eher im Einklang zu stehen. Dass es diesen Unterschied gibt, ist kein Wunder. Schon in der Schule lernen japanische Kinder, was im Falle eines Erdbebens zu tun ist und wie sie sich schützen können. Erdbebentrainings sind im öffentlichen Leben so normal wie in Deutschland der geprobte Feueralarm.
Youtube-Videos
Weltweites Gesprächsthema im Netz
Die Bevölkerung wirkt gefasst, die Katastrophe, die Katastrophen, das Ausmaß der Zerstörungen im Land und die Opferzahlen aber können noch immer nicht ermessen werden. Mit Japan hat es eines der am höchsten technisierten Länder der Welt, der "Ersten Welt", getroffen. Auch deshalb reißt die Bilderflut nicht ab. Menschen filmen, was sie sehen: Noch während des Bebens sind das wackelnde Fernseher und Regale, ein Clip zeigt sogar, wie ein gigantisches Hochhaus augenscheinlich schwankt. Youtube-User aus aller Welt, die das Geschehen nur im Fernsehen beobachten, laden Clips aus nationalen Nachrichtensendungen oder aus laufender Live-Berichterstattung hoch: Bilder der Tsunami-Welle oder der Explosion am beschädigten AKW Fukushima I, Moderatoren, welche die neuesten Meldungen verkünden. User aus Japan nutzen auch den offiziellen Youtube-Nachrichtenkanal Citizentube, um ihre Eindrücke zu teilen.
Unter den Hashtags, den Twitter-internen Stichworten, #japan, #earthquake, #quake und #tsunami twitterten und suchen User seit Freitag (11.03.2011) neueste Informationen rund um die Geschehnisse in Japan. Am Montag (14.03.2011) gehört laut trendsmap.com, einer Echtzeitgrafik, die aktuelle Twitter-Trends weltweit abbildet, auch "radioactive" zu den Topthemen im europäischen Raum - in Deutschland ist es "Laufzeitverlängerung". Oft verwiesen wird auch Tage nach dem ersten Beben auf den Livestream des englischsprachigen japanischen Senders NHK.
Schwerpunkt
Virtuelles Gedenken und Beten
Auf Facebook werden mehr und mehr Solidaritätsseiten gegründet, Anteilnehmende treffen sich auch auf virtuellen Veranstaltungsseiten, die als Orte der Anteilnahme fungieren sollen wie etwa "Pray for Japan". Dort posten Menschen ihre Segenswünsche, verlinkt wird eine Aktionsseite des amerikanischen Roten Kreuzes, auf der über einen Direkt-Link gespendet werden kann. Über Veranstaltungsseiten wie diese können andere User zur "Teilnahme" eingeladen werden. So gibt es bei "Pray for Japan" aktuell knapp 270.000 Zusagen, aber auch 16.600 Absagen, mehr als eine halbe Million Eingelade haben (noch) gar nicht reagiert.
Auf anderen Seiten wie "Digitaler Gedenkzug für die Opfer des Tsunami / Erdbeben / in Japan" tauschen sich User zu Themen rund um die Geschehnisse aus, erinnern an die Katastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren, posten aktuelle Beiträge aus internationalen Medien. Aber auch hier: Über 100 Absagen und über 1.100 unbeantworteten Anfragen stehen knapp 230 Zusagen gegenüber. Nicht jeder, der dazu eingeladen wird, möchte sich am kollektiven Gedenken beteiligen.
Praxistipps zum Energiesparen und Überleben
Aber es geht auch praktischer zu. Der offenen Gruppe "Japan Quake Survival Strategies" kann jeder beitreten, um sich mit anderen Mitgliedern über praktische Ratschläge und Strategien für die Katastrophensituation auszutauschen und zu diskutieren. Nach dem Motto "wer weiß was" posten User etwa Links auf Seiten, auf denen aktuelle gemessene Werte über die radioaktive Belastung einzelner Regionen veröffentlicht werden. Mark L. gibt die aktuellen Zeiträume durch, in denen in einzelnen Regionen kontrolliert der Strom abgeschaltet wird - zum Energiesparen. Der selbe User postet auch die 24-Stunden-Hotline für Touristen in Japan. Es wird das Gerücht diskutiert, Twitter werde in Japan abgeschaltet. Konkrete Belege gibt es dafür nicht.
Was tun bei radioaktiver Verstrahlung? Joe P. postet den Link auf eine Seite, die Rat bietet, wie der menschliche Körper nach dem Kontakt mit radioaktiver Strahlung entgiftet werden kann - erreichbar ist radiationdetox.com derzeit allerdings nicht: In der Fehlermeldung heißt es, der Service sei derzeit nicht abrufbar, weil der Seitenbetreiber sein Bandbreitenlimit erreicht habe. Zu groß ist aktuell die Nachfrage nach den entsprechenden Gesundheitsinformationen.
Auf eine umfangreiche Übersichtsseite macht Ryuji M. aufmerksam: lifehacker.jp listet unter dem Titel "Earthquake Updates for Foreigners in Japan" ("Erdbeben Updates für Ausländer in Japan") die vielleicht wichtigsten Informationsquellen für Betroffene in der Region. Nahrungsmittelausgabe und Evakuierungspläne, Informationen zu Wasserversorgung und Verkehr. Zu finden ist dort auch der Hinweis auf ein Angebot, das dem wohl bewegensten Anliegen entgegenkommen soll, das Betroffene dieser Tage umtreibt: Über die webbasierte Personensuche von Google soll es möglich sein, Angehörige zu finden.