Lächelnd sitzt der grauhaarige, ruhige Mann hinter seinem Schreibtisch und ergibt sich seinem Schicksal. Paul-Günther Fischer ist Leiter der "Strahlenschutzdienste" im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit in Düsseldorf. In zwei Wochen wollte er eigentlich in den Ruhestand gehen. Die Umzugskartons stehen schon in seinem Büro bereit. Doch seit dem Erdbeben und der Flut in Japan hat er zum Packen keine Zeit. Das Telefon klingelt ununterbrochen.
Strahlenkontrolle seit Tschernobyl
In 35 Arbeitsjahren hat Fischer viel gesehen. Drei Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl war Fischer zum Beispiel in der Ukraine. Zusammen mit Kollegen maß er dort die Radioaktivität. Jetzt muss er die zweite Atomkatastrophe in seiner Karriere miterleben. "Damit habe ich auf meine alten Tage nicht mehr gerechnet", sagt Fischer.
Dabei existiert seine Behörde überhaupt nur wegen des Unfalls in Tschernobyl. Die Bundesregierung baute nach der Reaktorkatastrophe vor 25 Jahren ein Überwachungsnetz auf, um die radioaktive Belastung messen zu können. Bund und Länder teilen sich die Arbeit: Der Bund betreibt ein deutschlandweites Messnetz für Atemluft und kontrolliert die Schifffahrtsstraßen sowie die Küstengewässer. Die Länder messen die Strahlenbelastung von Lebensmitteln, Trinkwasser, Pflanzen und Futtermitteln. Dafür gibt es in NRW fünf Labore, für jeden Regierungsbezirk eines.
Alles wird untersucht: Pilze, Trinkwasser, Babynahrung
Die "Messstelle für Umweltradioaktivität" von Paul-Günther Fischer ist für den Regierungsbezirk Düsseldorf zuständig. Mit neun sogenannten Gammaspektrometern untersuchen die Experten konstant Proben, die sie aus den unterschiedlichsten Ecken des Landes zusammentragen: Heute liegt zum Beispiel Schweinefleisch aus dem Supermarkt und Milch vom Bauern im Eisschrank des Labors. Die Strahlungsexperten mähen auch Wiesen, sammeln Laub und Pilze, nehmen Bodenproben oder kaufen Babynahrung. Etwa 1.800 Untersuchungen gibt es pro Jahr in NRW. Mit Blick auf den Reaktorunfall in Japan kann Fischer Entwarnung geben. Alle Lebensmittel-Einfuhren würden nun besonders geprüft. "Wir rechnen nicht damit, dass radioaktiv belastete Lebensmittel in NRW auftauchen."
Seit Jahren sind die Messwerte konstant niedrig, oft niedriger als in anderen Bundesländern. "Wir liegen in der Regel um den Faktor 1.000 niedriger als die Grenzwerte", sagt Fischer. Das liegt auch daran, dass in NRW keine Atomkraftwerke mehr am Netz sind. Denn aus denen entweicht Strahlung. Das ist bis zu bestimmten Grenzwerten erlaubt. Und diese Strahlung fließt mit in die Statistik ein.
Alte Atomkraftwerke werden streng kontrolliert
Auch in NRW gibt es noch alte Reaktoren und andere kerntechnische Anlagen, die von Fischer und seinen Leuten überwacht werden. Gerade stehen auf einem kleinen Laborwagen Wasserproben aus dem Umkreis des Kernkraftwerks Würgassen, das 1997 abgeschaltet wurde. Proben vom ehemaligen AKW Hamm-Uentrop werden hier genauso untersucht wie Material aus der Umgebung des Brennelementewerks in Gronau oder des Zwischenlagers in Ahaus.
Im Schnitt wird jeder NRW-Bürger pro Jahr mit etwa 0,01 Milli-Sievert aus Atomkraftwerken belastet. Dazukommen noch einmal jeweils etwa 0,01 Milli-Sievert Radioaktivität aus dem Reaktor von Tschernobyl, von Atomwaffenversuchen und natürlicher Radioaktivität. Viel gefährlicher sind statistisch gesehen allerdings Röntgenuntersuchungen in einem Computertomographen. Die Strahlendosis dabei beträgt für einen Durchschnittsbewohner NRWs etwa 1,9 Milli-Sievert pro Jahr, ist also etwa 200 Mal höher als alle anderen Strahlungsquellen.
Bisher nur Routinekontrollen
Die Experten aus Düsseldorf überwachen auch noch eine andere Strahlungsquelle in Krankenhäusern: die Nuklearmedizin. Dort werden Patienten mir radioaktiven Stoffen behandelt. Nach der Untersuchung müssen sie in der Regel einige Tage in der Klinik bleiben, weil ihre Ausscheidungen in speziellen Kläranlagen aufgefangen werden. Der Klärschlamm wird in Düsseldorf untersucht. "Da finden wir immer was", sagt Strahlenexperte Fischer.
Bisher fänden in NRW nur die normalen Routinekontrollen statt, erzählt Fischer. Der Bundesumweltminister kann aber auch den sogenannten "Intensivbetrieb" anordnen, zum Beispiel bei Unfällen mit Atomtransporten oder wenn eine Weltraumsonde abstürzt, die mit Atomkraft angetrieben wird. Oder eben, wenn es einen Unfall in einem Atomkraftwerk wie jetzt in Japan gibt. Dann stiege die Zahl der Messungen bis auf das Zehnfache, sagt Paul-Günther Fischer. Und dann würden auch Fischers Umzugskisten noch eine Weile ungepackt bleiben.