Beate Klarsfeld über ihren Kampf gegen Nazis

"Wir haben unser Leben eingesetzt"

Stand: 22.03.2006, 13:11 Uhr

Barbie, Mengele, Lischka - Beate Klarsfeld hat ihr Leben der Jagd nach untergetauchten NS-Verbrechern gewidmet. Sie will Gerechtigkeit, nicht Rache, sagt sie. Mit WDR.de sprach sie über ihre Motive, ihr Engagement und ihre spektakulären Aktionen.

Ein enger, alter Fahrstuhl mit eisernem Schutzgitter fährt langsam in die fünfte Etage. Arno, der Sohn von Beate Klarsfeld öffnet die Tür. Das Büro der Klarsfelds befindet sich mitten in Paris, drei Gehminuten vom Élysée-Palast, dem französischen Regierungssitz entfernt. Lächelnd erscheint Beate Klarsfeld. "Legen Sie Ihre Jacke irgendwo hin", sagt die 67-Jährige unkompliziert und bittet in einen kleinen Salon mit Stuck an der hohen Decke. Über dem weißen Marmorkamin ist ein riesiger Spiegel angebracht. An der Wand hängen Auszeichnungen, unter anderem ihre Ernennung zum Ritter der französischen Ehrenlegion. Eine Urkunde aus Deutschland fehlt.

WDR.de: Sie werden oft als "Nazi-Jägerin" bezeichnet. Wie sehen Sie sich selbst?

Gejagt: SS-Arzt Josef Mengele | Bildquelle: dpa

Beate Klarsfeld: Ich habe mich nie als "Nazi-Jägerin" bezeichnet. "Nazi-Jäger" ist ein Ausdruck, der geschaffen wurde, als man glaubte, NS-Verbrecher lebten weit entfernt in Südamerika und würden von Geheimdiensten verfolgt. Man verschloss die Augen vor der Tatsache, dass viele der Hauptverantwortlichen in Deutschland geblieben waren - nicht unter dem Schutz eines südamerikanischen Diktators, sondern unter dem Schutz der deutschen Regierung. Kurt Lischka, der maßgeblich an der Juden-Deportation in Frankreich beteiligt war, hatte seinen richtigen Namen auf dem Klingelschild stehen. Wir haben die Nazis zwar gejagt, aber diese Jagd bestand im Aufdecken und Bekanntmachen. Wir wollten erreichen, dass die Täter von der jeweiligen Justiz zur Verantwortung gezogen werden. Gut, in Bolivien haben wir Klaus Barbie, den Schlächter von Lyon, aufgespürt. Ich habe mitgeholfen, herauszufinden, was aus Josef Mengele, dem Auschwitzer KZ-Arzt, in Brasilien geworden ist. Und aus Walter Rauff, dem Erfinder der mobilen Gaskammern, der in Chile war. Aber die Jagd, so wie man sich das vorstellt, gab es nicht.

WDR.de: Wie sind Sie zu Ihrem Engagement gekommen?

Klarsfeld: Als ich 1960 als Au-Pair von Berlin nach Paris kam, lernte ich meinen Mann Serge kennen. Er öffnete mir die Augen über das, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist. Sein Vater war in Auschwitz umgekommen. Da habe ich mich - vielleicht mehr als viele andere - verpflichtet gefühlt, etwas zu tun. Als Deutsche hat man gewissermaßen historisch-moralische Verpflichtungen.

Bundeskanzler Kurt Kiesinger | Bildquelle: dpa

Der erste Anlass, mich zu engagieren, war 1966 die Wahl von Kurt Georg Kiesinger zum Bundeskanzler. Er war nicht nur NSDAP-Mitglied gewesen, sondern auch Verbindungsmann zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Propagandaministerium. Er hatte seine ganze Intelligenz in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt und wusste genau, was geschah - militärisch und in den Vernichtungslagern. Zu dieser Zeit arbeitete ich beim deutsch-französischen Jugendwerk und veröffentlichte in der französischen Zeitschrift Combat. Als ich in einem Artikel geschrieben hatte, Kiesinger ist eine Gefahr für ein demokratisches Deutschland, wurde ich fristlos entlassen. Das war der Punkt, wo ich die Gelegenheit hatte zu sagen: Ich bedauere den Artikel. Oder aber: Der Kampf geht weiter, Kiesinger muss abtreten.

WDR.de: Wie sah dieser Kampf aus?

Klarsfeld: Als Kiesinger gewählt wurde, hat kein Mensch über seine Vergangenheit gesprochen. Es war nichts bekannt. Oder man wollte nichts wissen. Wir haben Dokumentationen zusammengestellt und an die Bundestagsabgeordneten Broschüren geschickt. Doch die landeten direkt im Papierkorb. Deshalb überlegten Serge und ich, was zu tun ist, damit unser Anliegen in der Öffentlichkeit zum Thema wird. Eine Gelegenheit war Kiesingers Rede im Bundestag, als ich auf der Besuchertribüne aufstand und rief: "Kiesinger, Nazi, abtreten!" Dann bin ich 1968 nach Berlin zum CDU-Parteitag gefahren und verpasste ihm eine Ohrfeige. Das war eine Aktion, die wirklich einschlug. Es war ein symbolischer Akt: Die Kinder der Nazis schlagen ihre Väter.

WDR.de: Wie die Kiesinger-Ohrfeige führten Sie auch Ihre weiteren Aktionen meistens allein durch. Sie agierten in Osteuropa, im Nahen Osten und in Südamerika, wo die politische Lage oft unsicher war. Wie haben Sie sich vor Ort abgesichert?

Klarsfeld: Jede Aktion sollte etwas bringen und aufrütteln. Wir haben uns engagiert und wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt. Aber ich habe mich nicht blindlings in die Gefahr gestürzt. Einen gewissen Schutz hatte ich durch meinen mittlerweile bekannten Namen. Und vor den Aktionen habe ich den Regierungen durch die Presse mitgeteilt, ich komme und das ist mein Anliegen. So hat man an höherer Stelle gesagt, wenn wir die festnehmen, dann kriegen wir Schwierigkeiten. Aber man weiß nie, auf welchen Idioten man trifft, der einen foltert oder unbeabsichtigt tötet. Es hat auch eine gewisse Resonanz gehabt, dass ich als Deutsche aufgetreten bin. Eine Deutsche, die sagt, mein Volk hat das und das getan. Außerdem habe ich über meinen Mann in Paris und über Freunde sichergestellt, dass wir nicht allein durch die Presse im Kontakt geblieben sind.

WDR.de: Wo war es besonders risikoreich?

"Unser Auto ist in die Luft geflogen" | Bildquelle: WDR/Reinle

Klarsfeld: Anfang der 70er Jahre habe ich mich in Polen angekettet und gegen den dortigen Antisemitismus demonstriert, später in der Tschechoslowakei. Meine Solidarität mit Israel habe ich auch in arabischen Ländern bewiesen, wo es immer sehr gefährlich war. Besonders als ich während arabischer Gipfeltreffen für die sichere Existenz Israels demonstriert habe und festgenommen wurde. Oder in West-Beirut, als 1986 fünf libanesische Juden gekidnappt wurden und ich mich vor Ort als Ersatzgeisel angeboten habe. Doch ich konnte keinen Kontakt zu den Entführern herstellen. Die Geiseln wurden getötet.

Meine Aktionen in Südamerika waren ebenfalls gefährlich. 1977 protestierte ich zum Beispiel gegen Antisemitismus und das Verschwinden von Menschen in Argentinien, als die Generäle noch an der Macht waren. Auch zu Hause in Paris ist einiges passiert. Es gab Drohungen auf dem Anrufbeantworter. Einmal flog unser Auto in die Luft, und einmal haben wir eine Paketbombe bekommen.

Im zweiten Teil des Interviews: Beate Klarsfeld über Mordgedanken, Familienglück und eine verweigerte Auszeichnung. [mehr]