Es wirkt wie Zerfall: Degussa-Vorstandschef Utz-Helmut Felcht gibt zur Hauptversammlung nach verlorenem Machtkampf seinen Posten auf, das Unternehmen Degussa AG verschwindet im Sommer 2006 vom Kurszettel und auch der Firmensitz wird wohl von Düsseldorf weg verlegt. Das Ende eines Traditionsunternehmens? Das nicht, aber ein tief greifender Einschnitt in der langen Degussa-Geschichte.
Die begann mit der Gründung des deutschen Reiches 1871, als für die einheitliche Währung, die Mark, die Münzen der bisherigen Staaten eingeschmolzen werden mussten. Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt AG entstand. Den Namen Degussa AG führt sie seit 1980, als die gebräuchliche Abkürzung zum Firmennamen erklärt wurde. Aus dem Edelmetall-Spezialisten wurde über die Jahre ein Spezialchemie-Unternehmen.
Spielball der Großaktionäre
1999 fusionierte die Degussa mit der Veba-Tochter Hüls AG. Dabei wurde der Energiekonzern Veba zum Großaktionär. Als sich die Veba mit dem Energieversorger Viag zusammenschloss und daraus das Unternehmen Eon entstand, wurde auch die Degussa wieder ein Stück größer: 2001 wurde die SKW Trostberg, ein Chemieunternehmen, von der Viag ins Unternehmen eingegliedert. Der Sitz der Gesellschaft wurde nach Düsseldorf verlegt. Das Stammgeschäft mit den Goldbarren hatte die Degussa schon 2000 abgegeben, an die belgische Umicore. Weil mittlerweile der Streubesitz, die Zahl der an der Börse gehandelten Aktien also, wegen der Großaktionäre zu gering war, wurde Degussa 2002 aus dem Dax verbannt.
Schwerpunkt
Dann kam die RAG, die einstige Ruhrkohle, ins Spiel. Sie suchte als Ersatz für die hoch subventionierte Kohle neue Geschäftsfelder - und fand sie in der Spezialchemie. Im Tausch gegen ihre Anteile am Gasunternehmen Ruhrgas übernahm die RAG die Degussa von Eon.
Ende einer Börsengeschichte
Weil die RAG an die Börse gehen will, muss sie die Anleger von ihren glänzenden Aussichten überzeugen. Kernstück dieser Strategie ist die Degussa. Stabile Erträge aus der Spezialchemie sollen den Kohlekonzern fit machen. Leider erwies sich die Degussa als nicht ganz so profitabel, wie sich das die RAG gewünscht hatte. 2005 musste die Degussa wegen Abschreibungen in der Feinchemie einen Verlust von 491 Millionen Euro ausweisen.
Nach ersten Sanierungserfolgen steht das Unternehmen pünktlich zur Hauptversammlung 2006 wieder mit besseren Zahlen da. Trotzdem: Die Hauptversammlung am Montag (29.05.2006) wird das Ende der Börsengeschichte der Degussa besiegeln. Denn da die RAG über mehr als die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen 95 Prozent der Aktien verfügt, kann sie die verbliebenen Aktionäre aus dem Unternehmen herausdrängen. Und dann wird die Aktie noch im Sommer von der Börse genommen.
RAG will an die Börse
Denn Werner Müller, ehemaliger Wirtschaftsminister unter Gerhard Schröder und jetzt Vorstandsvorsitzender der RAG, hat Großes vor. Die Eingliederung der Degussa setzte er in einem Machtkampf gegen den Widerstand der Degussa-Chefs Utz-Helmut Felcht durch. Voraussichtlich im Herbst soll der RAG-Konzern einen neuen Namen erhalten, Mitte 2007 soll die Aktie des Unternehmens an die Börse gebracht werden. 136 Jahre nach ihrer Gründung erlebte die Degussa dann in vollkommen anderem Gewand ihren zweiten Börsengang.