Eigentlich war ja alles klar - dachte zumindest Jörg Landgraf. Er arbeitet seit 31 Jahren als Bergmann auf der Zeche Auguste Victoria in Marl und er wusste: 2018 ist Schluss. "Ich hab damit gerechnet", sagt der 48-Jährige. Er hat sich darauf eingestellt, wollte dann in Frührente gehen. Doch jetzt hat der Vorschlag der EU-Kommission doch schon bis 2014 aus dem Kohlebergbau auszusteigen, die Kumpel auf den Plan gerufen. "Das war ein Schlag ins Gesicht", sagt Landgraf. Denn es gibt seit 2007 Verträge mit der Bundesregierung, die die Arbeitsplätze von Landgraf und seinen Kollegen bis 2018 sichern. Theoretisch, denn ob die Verträge noch etwas wert sind, das weiß heute niemand.
Hoffen auf das Versprechen der Kanzlerin
Ungefähr 1.000 Bergmänner waren zu der außerordentlichen Betriebsversammlung bei Schacht 8 der Zeche Auguste Victoria gekommen. Die meisten tragen ihre Arbeitskleidung, denn um neun Uhr soll Einfahrt sein. 15 Gewerkschaftsfunktionäre und Industrievertreter sitzen im Anzug auf der Bühne. Immer wieder werden auf einer Leinwand Fotos von Kanzlerin Merkel eingeblendet. "An den Vereinbarungen wird nicht gerüttelt", soll sie noch vor wenigen Wochen dem Gesamtbetriebsrat gesagt haben, sagt Michael Vassiliadis. Er ist Gewerkschaftsvorsitzender, für ihn ist dieser Mittwoch ein geschäftiger Tag. Gleich wird er noch in Bottrop erwartet, später geht es nach Brüssel. Dort wird er auf die "Subventionsgegner" und "Klima-Hardliner" treffen, wie er es in seiner Rede formuliert. Vassiliadis gibt zu bedenken: Nicht ein Gramm CO2 würde eingespart werden, wenn die Bergwerke in Deutschland eher dichtgemacht werden.
Schwerpunkt
Viele fürchten um die Existenz
Auch Jörg Landgraf ärgert sich über die Entscheidungen der EU-Politiker. "Deutschland zahlt den größten Anteil in den EU-Haushalt ein, aber wir haben keine Macht", sagt er und fügt hinzu: "Was aber noch schlimmer ist, sind die eigenen Politiker, die uns im Stich lassen." Wenn sich die EU-Kommission durchsetzen sollte, dann droht Landgraf die Arbeitslosigkeit "und vielleicht auch Hartz IV", wie er befürchtet. Auch viele junge Kollegen sind gekommen. "Es geht heute nicht um uns", sagt Sebastian Kobus. Der 25-Jährige hat seine Ausbildung im vergangenen Jahr abgeschlossen und hat jetzt einen Zeitvertrag. "Für viele Leute hier geht es um die Existenz", sagt er solidarisch.
Der Zorn der Bergmänner richtet sich unter anderem gegen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Er hatte den Vorschlag der EU-Kommission begrüßt. Gewerkschaftschef Vassiliadis: "Die Bergmänner müssen Brüderle einen Besuch in Berlin abstatten und ihm das noch mal erklären." Aber auch er weiß: "Aus ihm machen wir keinen Kohlefreund mehr."
"Ich will, dass die Verträge eingehalten werden"
Nach 45 Minuten ist die Betriebsversammlung offiziell vorbei. Vor dem Zelt raucht Bergmann Thorsten noch eine letzte Zigarette vor der Schicht. "Wie es vorhin gesagt wurde: Abgemacht ist doch abgemacht", sagt er. Der 41-Jährige arbeitet im Bergwerk als Schlosser, hat Angst keinen neuen Job zu finden, falls der Bergbau stillgelegt wird. "Schade, dass nur so wenig Kollegen von der Frühschicht da sind", bemerkt er. Jetzt gleich wird ihn der Förderturm nach unten bringen. Vorher sagt er noch: "Ich will, dass die Verträge eingehalten werden."