Wenn Eckhard Helms gut geschätzt hat, muss er nachmittags nur noch ein paar Millionen Euro beschaffen. Lag er daneben, wird es schon mal ein größerer Betrag - dann muss schnell gehandelt werden in dem kleinen Büro in der Jägerhofstraße 6 in Düsseldorf, wo das NRW-Finanzministerium seinen Sitz hat. "Heute schätzen wir, dass wir 1,8 Milliarden Euro brauchen, um die Landeshauptkasse am Ende des Arbeitstages ausgleichen zu können", erklärt Helms. "Aber vielleicht sind es am Schluss auch 1,82 Milliarden, dann müssen wir am Nachmittag noch ein bisschen telefonieren, um den Rest zu besorgen." Helms und seine drei Kollegen sind die Schuldenmanager des Landes, so etwas wie die Dispo-Verwalter von Nordrhein-Westfalen: Sie kümmern sich um das "Girokonto" - genannt Landeshauptkasse.
Die Kasse darf nie im Minus sein
In dieser Kasse läuft alles zusammen, was das Land täglich an Zahlungen überweist oder überwiesen bekommt - und es geht um Milliarden: Buchungen von den einzelnen Bezirksregierungen und den 110 Finanzämtern. Abbuchungen gibt es ebenfalls jede Menge: Die Gehälter der Beamten zum Beispiel, Zinsen und Schuldentilgungen und Ausgaben der Ministerien - da sind 20 Millionen eher ein Klecker-Betrag. Doch die Kasse darf am Ende des Tages keinen einzigen Cent im Minus sein, dafür stehen Helms und seine Kollegen gerade.
Deswegen versuchen sie jeden Morgen vorherzusagen, wie hoch die Abbuchungen und die Zahlungseingänge sein werden - und wie hoch die Lücke dazwischen wohl ausfällt. Täglich muss dann eben diese Summe beschafft werden - um sie tags drauf wieder zurückzuzahlen. Dafür telefonieren sie mit einem dutzend Banken und leihen sich ein paar Millionen Euro hier, ein paar Millionen dort. Geld, das die Banken nur für einen Tag zur Verfügung stellen, ist besonders billig - die Zinsen liegen bei nur rund 0,25 Prozent. Würde das Schatzamt gleich für eine Woche leihen, wäre das bereits teurer. Also wird jeden Tag neu geschätzt, verhandelt und geliehen. "Heute hat es nur vier Anrufe gebraucht, um die 1,8 Milliarden für einen Tag aufzunehmen", erklärt Helms' Kollege Andreas Becker zwischen zwei Telefonaten.
Roadshows für milliardenschwere Schuldverschreibungen
Doch die Dispo-Manager haben noch eine zweite, viel kniffligere Aufgabe zu bewältigen: NRW hat 2009 durch die Wirtschaftskrise sowie die beschlossenen Konjunkturpakete einen Nettokreditbedarf von rund sechs Milliarden Euro - und die müssen irgendwo her kommen. Und das Geschäft mit den Schulden ist seit Ausbruch der Finanzkrise nicht einfacher geworden für die Männer und ihre Kollegin vom "Treasury", zu deutsch "Schatzamt".
Ihr Job ist es nämlich, Investoren zu finden, die ihr Geld in Nordrhein-Westfalen anlegen wollen - also in Anleihen und Schuldscheine des Landes, und zwar für Laufzeiten von mehreren Jahren. Nicht nur die 2,4 Milliarden für das Konjunkturpaket, auch andere Kredite, die das Land aufnehmen muss, werden auf diese Art beschafft. Dafür fahren Eckhard Helms und NRW-Finanzminister Linssen schon mal für sogenannte "Roadshows" bis nach Tokio oder Kuala Lumpur - um Geldgeber von der Anlage in NRW zu überzeugen.
"NRW kann nicht pleite gehen"
"Die Investoren fragen schon, ob wir als Land auch pleite gehen können", sagt Helms. Dann erklärt er den asiatischen Geldgebern, meist Banken, Fonds und Versicherungen, die deutsche Finanzverfassung und den Länderfinanzausgleich. "Keine ganz leichte Aufgabe, aber die meisten verstehen das schon." Die Banken und Fonds bieten ihr Geld dann zu einem bestimmten Zinssatz an - die Schatzmeister müssen im Gegenzug versuchen, den billigsten Zinssatz für die meist rund Zwei-Milliarden-Euro-schweren NRW-Anleihen herauszuschlagen. Vor der Finanzkrise waren die Zinsen relativ stabil auf einem bestimmten Niveau, seit Ausbruch der Krise allerdings wird gefeilscht, geboten, überboten.
"Damit ich die richtige Entscheidung treffe, muss ich mir vorher Gedanken machen, wo wohl die langfristige Zinsentwicklung hingehen wird, ob wir eine Deflation oder eine Inflation bekommen werden und welchen Zins wir entsprechend für Laufzeiten von 5, 10 oder gar 30 Jahren akzeptieren können", erklärt der Chef des Schatzamtes. "Aber niemand kann genau vorhersagen, wann die Krise vorbei ist. Auch wir nicht. Man kann Glück oder Pech haben."
Heute hat Helms Glück: Der Verwalter der Landeshauptkasse ruft an. Die allmorgendliche Schätzung lag nur um wenige Millionen Euro daneben, an diesem Nachmittag bleibt es ruhig im kleinen Büro im dritten Stock des Finanzministeriums. "Wir hatten noch nie eine Finanzierungslücke auf dem NRW-Konto", erklärt Helms zufrieden.