Die dritte Insel ist noch unterwegs zum Ruhr-Atoll. Holger Krüssmann bleibt eine Stunde bis das schwimmende Kunstwerk des Ehepaares Ilya und Emilia Kabakov für das nächste halbe Jahr auf dem Essener Baldeneysee in Position gerückt wird. Der Pressesprecher der Ruhr-Atoll GmbH will das Ereignis fotografieren. "Die besten Bilder lassen sich direkt vom Wasser aus schießen", sagt Krüssman, der kurzentschlossen eines der zwölf Tretboote chartert und zunächst eine Testfahrt zu den beiden bereits verankerten Kunstinseln macht. Die vierte Insel komme am Folgetag und die fünfte folge im Juni.
Künstler zitiert Kant
"Das Tretboot ist doch ganz flott", sagt der 55-jährige Krüssmann, der als Radfahrer gut im Training ist, wie er sagt. Als erstes steuert der studierte Germanist das U-Boot von Künstler Andreas Kaufmann und Wissenschaftler Hans-Ulrich Reck an. Wer ein komplettes U-Boot unter der Wasseroberfläche vermutet, irrt. Es ist eine Attrappe. Besucher können nur den Schornstein betreten - einen kleinen, sehr dunklen Raum mit sakral anmutenden Fenstern, die durch ein Mosaik von Pressefotos ein Zitat von Kant abbilden. "Ich kann, weil ich will, was ich muss", so lautet auch der Titel der U-Boot-Installation. "So sehr ich den kategorischen Imperativ auch mag, am Ende lässt sich damit doch jede noch so unmenschliche Politik rechtfertigen", sagt Krüssmann. Der Künstler spiele hier bewusst mit einem Zwiespalt.
Schwerpunkt
Teehaus macht Essener ratlos
Die nächste Station kommt in Sicht- und Fotografierweite: Das "Teehaus", wie es die Essener liebevoll nennen, war die erste Insel, die auf dem Baldeneysee ankam. Die Installation des japanischen Künstlers Kazuo Katase und des Architekten Michael Wilkens, die neben einer Teetasse auch ein Holzhaus mit einem sich selbst bewässernden Gartenanbau zeigt, ist die einzige, die Besucher nicht betreten dürfen. Sie ist vom Ufer aus am besten zu sehen. Spaziergängerin Hella Behrens macht von dort ein Foto. "Solche Kunst lässt sich schlecht erklären", sagt Behrens, die mit dem versprochenen Feuerwerk zur Eröffnung mehr anfangen kann, als mit der schwimmenden Kunst.
Idee des Ruhr-Atolls älter als Ruhr 2010
Holger Krüssman sucht nach einer Lösung. "Wir müssen auch hier Schilder aufstellen, die etwas über die einzelnen Inseln sagen", erklärt der Pressesprecher. Die Idee des Ruhr-Atolls ist schon sieben Jahr alt und damit älter als Ruhr 2010 selbst. Rund 1,5 Millionen Euro in Form von Geld-, Sach- und Dienstleistungen sind in das Projekt geflossen.
Kunst und Wissenschaft karikiert
Die rund 30 Meter lange Insel des Künstlerpaars Kabakov erreicht Krüssmann nach fünfzehn Minuten Anfahrt. Die Kabakovs haben sie ironisch "Projekt zum Schutz der natürlichen Ressourcen" genannt: Wenn man genauer hinsieht, ist dort ein verödete Industrielandschaft zu sehen und keine Spur von energietechnischem Fortschritt. Kurator Norbert Bauer überwacht den Transport persönlich. Stolz steht er auf der Insel, deren Oberfläche er in den vergangenen vier Wochen persönlich zu einem Stück verbrannten Russlands gemacht hat. "Ich muss jetzt erstmal wieder lernen, nicht überall nach Schrott zu schauen. Ich gelte hier schon als das Trüffelschwein", sagt Bauer.
Energie für die Kunst
Das Ruhr-Atoll hat den gebürtigen Gelsenkirchener auch an anderer Stelle an seine Grenzen gebracht. Als Künstler von Fluxus und sozialen Plastiken geprägt, ist er mit seinem Werk "Grundsteinkiste" bereits 1994 berühmt geworden. Als dann ein Atoll auf dem Essener Baldeneysee entstehen sollte, unmittelbar zwischen dem Wasserkraftwerk und der Villa Hügel, dem ehemaligen Familiensitz der Industriellenfamilie Krupp, war das Thema naheliegend: "Kunst ist Energie - Energie ist Bewegung". "Es war allerdings viel schwieriger als erwartet, Künstler und Wissenschaftler zusammenzubringen. Die lassen sich alle nicht gern in ihre Arbeit reden", erzählt Bauer, während die Crew des Schleppbootes um ein Zeichen bittet, wann die Insel an ihrem Bestimmungsort angelangt sei. Ein Fingerzeig nach rechts, dann ist sie platziert. Holger Krüssmann schießt noch ein letztes Foto von dem Kurator, von dem das Kunstprojekt selbst sehr viel Energie einfordert.