Peter Lubitz hockt in einer stillgelegten Werkshalle in Essen, sein Arm versinkt gerade im Einführstutzen einer gelben Ballonhülle. Langsam tastet sich der 55-Jährige an der Schweißnaht entlang, die Hand ist auf der Suche nach einer Kunststofföse. Hat er die Öse gefunden, darf er daran vorsichtig den Befestigungshaken einer Lampe einhaken und diese langsam wieder ins Innere des Ballons zurück schieben. Doch das ist erst der kniffelige Auftakt eines ganz besonderen Schulungstages.
Peter Lubitz und sein Arbeitskollege Jürgen Schäfer sind zwei von rund 1.600 freiwilligen Helfern, die sich für das Ruhr2010-Projekt Schachtzeichen beworben haben. Ab dem 22. Mai werden die beiden eine Woche lang einen Helium-Ballon auf Zeche Germania betreuen. Das ehemalige Zechengelände in Dortmund ist nur einer von 350 Standorten, an denen die gelben Ballone in 80 Meter Höhe schweben sollen. Wie überdimensionale knallgelbe Stecknadelköpfe werden die Ballone jeweils eine verschwundene Schachtanlage markieren und weit sichtbar daran erinnern, wie sehr der Bergbau die Region einst prägte.
Letzter Check am Manometer
Als der Leuchtkörper erfolgreich im Innern des Ballons verstaut ist, geht es für die Helfer an die nächste Station. Jetzt muss das Gas in den Ballon. "Vorsicht", mahnt Schulungsleiter und Ballonspezialist Robert Günnel, "jetzt brauchen Sie auf jeden Fall Handschuhe". 200 Bar Druck herrscht in der Gasflasche. "Wenn das ausströmt, kann es Kälteverbrennungen geben." Ein Druckminderer muss aufgeschraubt werden, damit das Gas dosiert in den Ballon strömen kann. Später, wenn die Männer allein mit ihrem Ballon hantieren, muss jeder Griff sitzen. Also: Wo zieht man die Verschlusskappen? Wie liest man die Druckanzeige? Und wo sitzt das Öffnungsventil? Lubitz und Schäfer lächeln gelassen. Keine wirkliche Herausforderung für die angehenden Schachtzeichenhelfer.
"Ich war gerne unter Tage"
Peter Lubitz ist ehemaliger Bergmann. Dreißig Jahre war er unter Tage und darauf ist er stolz - man hört es ihm an. Deshalb ist dem Mann aus Castrop-Rauxel auch das Projekt so wichtig. Deshalb hat er sich freiwillig gemeldet, als man die vielen ehrenamtlichen Helfer suchte. "Ich war gerne unter Tage und das will ich hier zeigen." Früher, sagt Lubitz, sei doch auch der Zusammenhalt ein ganz anderer gewesen. "Ich bin in den Hinterhöfen der Schachtanlagen groß geworden." In den Zechensiedlungen gab es noch echte Nachbarschaft. "Da saßen die Alten auf der Straße und haben den Jungen beim Spielen zugeschaut. Heute fehlt mir irgendwie dieser Zusammenhalt."
Auch Schulungsleiter Dirk Stiesberg ist begeistert vom ehrenamtlichen Engagement der Helfer. Die müssten nämlich zur Not sogar Nachtschichten am Ballon schieben, damit die Schachtzeichen nicht beschädigt oder gar geklaut werden. "1.600 freiwillige Helfer - so etwas ist nur im Ruhrgebiet möglich", so der Ballonpilot.
Kein Start bei Windstärke vier
Nach über einer Stunde wissen die Helfer jetzt, wie sie Füllstutzen sichern, Kabelbinder befestigen und Sicherheitsleinen finden. Nur eines bleibt unberechbar: das Wetter. In der Schulungshalle lässt sich der Ballon problemlos starten und wieder absenken. Doch was passiert, wenn die gelbe Kugel in 80 Meter Höhe von starken Böen erfasst wird und sturzartig zu Boden fällt oder beim Einholen mit der Seilwinde fiese Winde wehen. "Dann wird das Kurbeln zur Schwerstarbeit - auch für vier Männer", weiß Ballonpilot Dirk Stiesberg und simuliert einen Sturm, indem er heftig an den Seilen rappelt und den Ballon über dem Transporter tanzen lässt. "Besorgen Sie sich lieber jeden Tag die aktuellen Winddaten. Bei Windstärke vier bleibt der Ballon am Boden."
Geschichtskreise, Vereine und Kitas an den Leinen
Auch nach etlichen Handgriffen am Ballon, viel Theorie und dem Durchsprechen sämtlicher Notfallszenarien, ist Peter Lubitz das Lachen nicht vergangen. Gut so. Denn ohne freiwillige Helfer ginge keines dieser fliegenden Schachtzeichen am 22. Mai in die Luft. Das weiß auch Hannah Neumann vom Schachtzeichen-Team. "Firmen, Vereine und Geschichtskreise haben sich angemeldet. Wir haben aber auch einen Karateclub und Kindergärtnerinnen aus einer Kita dabei." Manch ein Ballonteam habe sogar ganz allein ein Rahmenprogramm rund um den Ballon auf die Beine gestellt. Und so tanzen sie bald in Bochum-Eppendorf, zeigen Kunst am Schacht Fürst Leopold in Dorsten oder feiern gleich ein großes Ortsteilfest, wie am Dortmunder Schacht Wilhelmine Victoria. "Für die Leute ist das einfach ihr Ballon".