Website sammelt Archivgut

Digitale Schatzkiste für Kölner Archivalien

Stand: 13.03.2009, 02:00 Uhr

Fotos, Kopien, Mikrofilme - Sicherungen der verschütteten Kölner Archivschätze sind überall verstreut. Nicht nur in Bibliotheken, sondern auch bei Wissenschaftlern und Privatpersonen. Holger Simon sammelt sie auf einer Website.

WDR.de: Herr Simon, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Sicherungen der verschütteten Archivgüter auf einer Website zu sammeln?

Holger Simon: Wir, das ist der gemeinnützige Verein Prometheus, haben uns gesagt, wir setzen ein Web-2.0-Portal ins Netz, um eine Bestandssicherung zu machen: Was gibt es an Archivmaterial bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dort befinden sich viele Abschriften, Mikrofilme und auch digitale Bilder. Die Mitarbeiter des Stadtarchivs können sich um diese Aufgabe nun nicht kümmern. Sie sind vor Ort und bergen die Dokumente. Unsere Initiative finanziert zurzeit der Verein Prometheus, der eines der größten Bildarchive für Kunst und Kultur betreibt. Es ist wichtig, diese Bestandssicherung schnell zu machen, denn jetzt ist die Anteilnahme der Wissenschaftler da. Sie sollen in ihren Unterlagen schauen, was habe ich an Abschriften, was habe ich an Mikrofilmen. Und es ist enorm, was da noch zu finden ist! Also nicht in den Bibliotheken, sondern verstreut bei den Nutzern des Stadtarchivs. Wir nutzen das Internet. Es ist dabei nicht schlimm, ob ein Dokument mehrfach eingegeben ist. Wichtig ist, dass wir wissen, wo es wie vorliegt. Der große Vorteil ist natürlich auch, dass das Stadtarchiv zur Rekonstruktion darauf zurückgreifen kann.

WDR.de: An wen richtet sich Ihr Internetangebot?

Simon: Wir haben zwei Zielgruppen: Zum einen die Wissenschaftler, die in der Vergangenheit mit Archivalien aus Köln gearbeitet haben. Zum anderen die Forscher, die aktuell an einem Thema arbeiten, und vielleicht ihr Hauptmaterial verloren haben. Möglicherweise können sie über unsere Seite feststellen: Davon gibt es eine Mikrofilm-Aufnahme bei einem Kollegen in München. Wir werden bald ein Formular einrichten, über das dann auch Kontakt aufgenommen werden kann. Denn das Kölner Stadtarchiv wird über Jahre geschlossen sein.

WDR.de: Müssen die Dokumente in digitalisierter Form hochgeladen werden?

Simon: Nein, nein, es reicht zu sagen, ich habe eine Kiste mit folgendem Bestand. Dann kann man nachher entscheiden, wer braucht es wirklich und ob es digitalisiert werden sollte.

WDR.de: Wann ging Ihre Seite online, wie war die Resonanz bisher?

Simon: Samstagabend (07.03.09) war sie im Netz, das ist noch nicht mal eine Woche her. Die Resonanz ist riesig.Bisher haben sich mehr als 200 Personen eingetragen, und es wurden bereits mehrere Hundert Archivalien hochgeladen. Am Anfang gab es zum Teil Skepsis: Vom wem ist das eigentlich? Darum ist es wichtig, dass die großen Berufsverbände dabei sind, also die Verbände der Archivare, Restauratoren und Historiker. Das gibt Sicherheit. Was mich überraschte: Es haben mich viele ältere Damen und Herren angerufen, die vor 20 oder 30 Jahren im Stadtarchiv gearbeitet haben und zum Teil ganze Abschriften von Akten haben. Wenn die zerstört sein sollten, kann es sein, dass das jeweils die einzige erhaltene Abschrift ist.

WDR.de: Stehen Sie im Kontakt mit dem Stadtarchiv?

Simon: Die Leiterin, Frau Schmidt-Czaia, konnte ich noch nicht sprechen, die hat jetzt auch Wichtigeres zu tun. Aber mein Kollege Andreas Rutz hat mit den Mitarbeitern vom Archiv gesprochen, die dem sehr positiv gegenüber stehen. Die wissen auf jeden Fall davon, und auch Professor Fuchs von der Restaurierung hat schon Grüße ausrichten lassen.

WDR.de: Wissenschaftler betonen immer wieder, dass eine Kopie das Original nicht ersetzen kann. Was geht auf dem Weg der Digitalisierung verloren?

Simon: Man sagt, die Aura geht verloren. Da gehört aber noch mehr dazu. Das, was Sie digital transportieren können, ist die Information. Sie können zum Beispiel, was auf einer Urkunde steht, abschreiben. Was Sie aber nicht wiedergeben können, ist, wie die Information vermittelt wird. Also ist es ein Buch, das ich durchblättern oder ein Pergament, das ich in der Hand halten kann. Dafür brauche ich das Original. Oder wenn es um die Frage geht, ob eine Urkunde eine Fälschung ist oder nicht, dann muss ich sie in die Hand nehmen und gegen das Licht halten. Und meist ist es ja so, dass auf der Rückseite einer Urkunde noch Notizen sind, die wurden nicht mit abgeschrieben. Und das kann noch mal sehr interessant sein. An das Original kann ich immer wieder mit neuen Fragen rangehen.

WDR.de: Wie oft braucht man wirklich das Original?

Simon: Die meisten Forschungsfragen richten sich an den Informationsgehalt, dafür brauche ich das Original nicht. Es gibt unzählige Handschriftenprojekte, die komplett in hoher Auflösung im Netz stehen. Zum Beispiel vom Diözesanmuseum in Köln. Das tut der Handschrift richtig gut, denn die meisten Forscher müssen die Sachen nicht mehr anfassen. Für einzelne Fragen kann man dann gezielt ins Archiv gehen.

WDR.de: Teile des historischen Archivs lagern als Mikrofilm im Barbarastollen im Schwarzwald. Welche Sicherungsform ist sinnvoller: Mikrofilm oder Digitalisierung?

Simon: Das sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Eine Mikroverfilmung ist gut. Denn Sie können ein Loch in einen Mikrofilm machen und der ist immer noch lesbar. Wenn Sie ein Pixel rausnehmen, ist die Datei zerstört. Es ist sehr hilfreich, was es im Barbarastollen gibt, aber zum Teil sind es Aufnahmen aus den 60er Jahren. Verglichen mit der heutigen Technologie sind sie unscharf. Darum ist es gut, wenn das Dokument auch noch in anderer Form vorliegt.

WDR.de: Welche Schlussfolgerungen sollte man aus der Einsturzkatastrophe von Köln ziehen?

Simon: Dass die Entwicklung offener, digitaler Archive eine gute Ergänzung zu dem herkömmliche Archiv mit Originalen ist. Das eine ersetzt das andere nicht, vielmehr braucht die Forschung und die Öffentlichkeit beides.

Das Interview führte Sabine Tenta.