Am Aschermittwoch ist alles vorbei, verspricht ein Karnevalslied. Doch der Ärger um den Bau einer neuen U-Bahn-Linie bleibt Köln erhalten. Erst geriet ein Kirchturm in Schieflage, dann stürzte das Historische Archiv der Stadt in sich zusammen und nun wurde Pfusch, wenn nicht gar Kriminalität am Bau entdeckt. Das sorgt nicht nur bei den eigenen Bürgern, sondern auch außerhalb von Köln für Kopfschütteln und Spott. Über den U-Bahn-Bau und die Folgen sprach WDR.de mit dem Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters.
WDR.de: Herr Roters, so ganz unbeschwert dürften Ihre Karnevalstage nicht gewesen sein. Konnten sie trotz der schlechten Nachrichten vom U-Bahn-Bau die närrischen Tage noch genießen?
Jürgen Roters: Es war ein Wechselbad der Gefühle. Natürlich haben mich die Informationen, die ich erhalten habe, erschreckt. Auf der anderen Seite muss man auch so professionell handeln können, dass man sich im Karneval sehen lässt und deutlich macht, dass man dazugehört. Aber es war nicht einfach.
WDR.de: Seit 2002 wird in Köln an einer neuen U-Bahn-Linie gearbeitet. Dabei ist auch herumgepfuscht worden, sogar mit krimineller Energie. Warum ist das erst jetzt herausgekommen?
Roters: Nach dem 3. März 2009, dem Einsturz des Archivs, gab es eine Zeitenwende. Da erst wurde erkennbar, wie das System der Bauaufsicht und Bauüberwachung konstruiert war. Und es wurde notwendig, diesen Bereich neu aufzustellen. Zum Beispiel hatte die technische Aufsichtsbehörde bei der Bezirksregierung Düsseldorf ihre Aufgaben mit Beginn der Bauarbeiten auf die KVB übertragen. Das hat man im vergangenen Jahr wieder rückgängig gemacht und es wurde ein externes Büro zusätzlich eingeschaltet. Den Weg für weitere detaillierte Kontrollen des U-Bahn-Baus hat der gerichtlich bestellte Gutachter freigemacht, und im Zusammenhang mit diesen Untersuchungen sind dann ja auch weitere Dinge ans Tageslicht gekommen - dass stellenweise zu wenig Beton verarbeitet und zu wenig Eisenbügel eingearbeitet wurden. Was die Zeit nach dem 3. März 2009 angeht, kann ich der KVB keine Vorwürfe machen - wenn Informationen vorlagen, sind sie ihnen nachgegangen, und zwar zügig. Aber solche Untersuchungen brauchen halt ihre Zeit.
WDR.de: Für die Zeit nach dem 3. März 2009 machen sie der KVB keine Vorwürfe. Und für die Zeit davor?
Roters: Von der KVB-Führung selbst gibt es Aussagen, dass man in punkto Bauüberprüfung und -Überwachung eigene Bedenken hat. Das wird nun auch Gegenstand des gerichtlichen Ermittlungsverfahrens sein. Und dessen Ergebnis muss man abwarten, bevor man nun irgendwelche Schnellschüsse macht.
WDR.de: Sind in ihren Augen die Kölner Verkehrsbetriebe mit dem Projekt U-Bahn-Bau überfordert?
Roters: Wir haben jetzt ein System der Bauüberwachung, das ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet. Wir haben Vertreter des TÜVs, die regelmäßig vor Ort sind, wir haben anerkannte Ingenieurbüros, die den Weiterbau begleiten, wir haben die technische Aufsicht wieder zurückgegeben an die Bezirksregierung Düsseldorf. Was jetzt läuft, ist gut organisiert. Aber auch das will ich noch mal überprüfen lassen, dafür habe ich eine Arbeitsgruppe "Stadtbahn-Bau" eingesetzt.
Losgelöst von der Situation in Köln müssen wir uns auch fragen: Gibt es möglicherweise ein System der Bauüberwachung, das den heutigen Ansprüchen an Großbauvorhaben nicht mehr entspricht? Es wird immer mehr an Firmen delegiert, und der Staat zieht sich aus der hoheitlichen Bauüberwachung zurück. Das ist möglicherweise politisch gewollt und bundesweit anzutreffen - aber das gilt es zurückzuschrauben.
WDR.de: Zu wenige Stahlbügel, zu wenig Beton, gefälschte Protokolle - im Kölner Untergrund passierte einiges, was nicht hätte passieren dürfen. Können sich die Kölner überhaupt noch sicher fühlen?
Roters: Ich finde es gut und richtig, dass die Medien über die schlimmen Vorfälle berichten. Aber sie sollten keine Panik schüren. Die Stützmauern, um die es aktuell geht, sind seit fünf Jahren dort und haben manche Belastung überstanden. Wir müssen natürlich alles daran setzen, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Aber man darf auch nicht den Eindruck erwecken, als würden in den nächsten zehn Minuten alle Dämme brechen.
WDR.de: Können Sie weitere unliebsame Überraschungen beim U-Bahn-Bau ausschließen?
Roters: Ich kann nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass noch weitere Missstände aufgedeckt werden. Das muss und wird alles aufgeklärt werden, es wird nichts unter den Teppich gekehrt. Und wenn strafbare Handlungen begangen wurden, müssen sie verfolgt werden, daran werde ich alles setzen.
Wir müssen überprüfen, ob es noch weitere Sicherheitsprobleme gibt. Das wird auch Aufgabe der neu eingerichteten Arbeitsgruppe "Stadtbahn-Bau" sein.
WDR.de: Die Arbeitsgruppe wird von ihrem Stellvertreter geleitet. Wollen oder können Sie das nicht zur Chefsache machen?
Roters: Der Stadtdirektor ist mein Vertreter, und er wird mir regelmäßig berichten. Bei meinen zahlreichen Terminverpflichtungen kann ich eine solche Arbeitsgruppe, die häufig tagt, nicht selber leiten. Es gibt so viele Baustellen in Köln, die ich ebenfalls im Blick haben muss, wie etwa den Neubau des Historischen Archivs. Das Geschäft mit der Messe muss laut EU-Anordnung bis Jahresmitte rückabgewickelt werden, die Sparkasse steht vor großen Herausforderungen, die Dom-Umgebung soll neu geordnet und die Archäologische Zone als touristisches Highlight weiter entwickelt werden - viele Aufgaben, um deren Koordination ich mich ebenfalls zu kümmern habe.
WDR.de: Das Image Kölns hat einmal mehr gelitten. Gehören Schlamperei und Pfusch zu Köln wie der Dom?
Roters: Die Ereignisse haben dem Renommee Kölns geschadet, keine Frage. Das stimmt mich traurig, weil wir es im Grunde nicht verdient haben. Zu bedenken ist: Hier sind international agierende Firmen am Werke. Und da stellt sich schon die Frage: Wie kann es sein, dass ein solches Firmenkonsortium seine Verkehrssicherheitspflicht und seine Bauleistungspflicht so vernachlässigt? Und es zulässt, dass Mitarbeiter organisiert Betrügereien begehen können? Und dass hier Fälschungen von Protokollen vorgenommen werden? Das sind Dinge, die nicht Köln-spezifisch sind, die können überall vorkommen. Das hat auch der Präsident der Kammer für Prüfstatik bestätigt.
Ich will aber nicht bestreiten, dass das System der Bauausführung, die Bauherrenschaft bei der KVB und auch die Übertragung der hoheitlichen Bauaufsicht geradezu einlädt, Risiken zu schaffen.
WDR.de: Zurück zum Imageschaden. Wie wollen Sie das angekratzte Bild der Stadt restaurieren?
Roters: Wir müssen jetzt vermitteln, dass mit allem Nachdruck der Bau ordnungsgemäß und sicher fortgeführt wird. Und wir müssen die Staatsanwaltschaft und das Gericht dabei unterstützen, die Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs zu ermitteln. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf zu wissen, wer letztlich Schuld ist am Zusammenbruch unseres Stadtarchivs und an dem Verlust von zwei Menschenleben. Und deshalb dränge ich darauf, dass wir so schnell wie möglich alle Beweise zusammen bringen. Wir wollen im ersten Schritt die noch vorhandenen Archivalien bergen. Dann soll an der Unglücksstelle ein Besichtigungsbauwerk errichtet werden, damit die Staatsanwaltschaft mit ihren Gutachtern die Schadstelle besichtigen und die Ursachen für den Einsturz ermitteln kann. Und in der Folge müssen natürlich auch weitere Fragen geklärt werden: Gab es genug Kontrollen? Ist die Aufsicht mit der notwendigen Akribie durchgeführt worden?
WDR.de: Werden Sie künftig beim Thema U-Bahn-Bau in der Öffentlichkeit offensiver handeln?
Roters: Ja.
WDR.de: Bislang hat man Sie persönlich nicht so oft zum Thema gehört.
Roters: Um den Ermittlungserfolg der Staatsanwaltschaft nicht zu gefährden, haben wir uns Zurückhaltung auferlegt. Auch im Interesse der Stadtfinanzen. Da geht es ja auch um die Frage, wer für die immensen Schäden haftet. Da darf man keine Fehler begehen. Und wenn die Staatsanwaltschaft einen bittet, keine Erklärungen abzugeben, dann muss man sich daran halten.
Die Information der Öffentlichkeit wird jetzt verstärkt. Das gilt zunächst für die KVB und die beteiligten Firmen. Und die Stadt wird regelmäßig die Öffentlichkeit über den Stand der Aufklärungsarbeiten informieren.
Nun geht es darum, mit höchster Akribie und unter höchsten Sicherheitsanforderungen die U-Bahn zu Ende zu bauen.
Das Interview führte Stephan Lennartz.