1953 führt das Allensbacher Institut für Demoskopie eine bundesweite Meinungsumfrage zur Entnazifizierung durch. Das Ergebnis für die britische Zone: Über 80 Prozent der Befragten geben an, durch die Entnazifizierung keine Nachteile erlitten zu haben. Dennoch sagen in NRW rund 40 Prozent, die Entnazifizierung sei gar "nicht notwendig" und "nur eine Schikane der Besatzungsmächte" gewesen. Das schlechte Image der Entnazifizierung beruht teilweise auf Mängeln des Verfahrens: Die alliierten Anweisungen werden immer wieder ergänzt und widersprechen sich zeitweise. Auch die Zulassung von "Persilscheinen" ist problematisch: Die Entlastungszeugnisse können bei den Ausschüssen in beliebiger Menge vorgelegt werden, ohne dass ihr Wahrheitsgehalt jedes Mal kontrolliert werden kann.
Wiederaufbau hat Vorrang vor politischer Überprüfung
Da in der britischen Zone eine allgemeinen Entnazifizierungspflicht fehlt, nützen viele Nazis die lückenhafte Erfassung, um unerkannt zu bleiben: Überprüft werden im wesentlichen Stellenbewerber oder Beamte und Angestellte in höheren Positionen. Deshalb tauchen manche Nazigrößen wie Goebbels' Ex-Staatssekretär Werner Naumann unter, indem sie in freien Berufen arbeiten oder untergeordnete Tätigkeiten als Angestellte verrichten. Im Unterschied zu den Amerikanern sind die Briten bei der Entnazifizierung pragmatischer: Der Wiederaufbau von Wirtschaft und Verwaltung hat in NRW Vorrang vor der politischen Überprüfung. So werden etwa der Steinkohlebergbau und die Landwirtschaft weitgehend von der Entnazifizierung ausgenommen. Auch ist es möglich, politisch belastete Personen im Interesse der Versorgung der Bevölkerung im Amt zu belassen. Diese Ungleichbehandlung verstärkt bei vielen Deutschen den Eindruck einer ungerechten Besatzungspolitik.
Amnestie und "Wiedereingliederung" der Täter
"Neben der allgemeinen Unwilligkeit der Deutschen, sich an der Entnazifizierung aktiv zu beteiligen, produzieren erste Amnestien weitere Vorbehalte gegen dieses Verfahren", schreibt Geschichtsprofessor Norbert Frei. Der Deutsche Bundestag erlässt 1949 und 1954 zwei Straffreiheitsgesetze, die zahlreiche Nazi-Täter begnadigen. Ebenso werden die bei der Entnazifizierung entlassenen Staatsdiener rehabilitiert und "wiedereingegliedert".
Darüber hinaus verlangt die NRW-FDP eine "Generalamnestie" und einen "Schlussstrich". Kein Wunder: Der liberale Landesverband ist von Alt-Nazis unterwandert. Zentrale Figur ist der Essener Rechtsanwalt und FDP-Mitglied Ernst Achenbach. Er gehört selbst zu den NS-Seilschaften, denen er seine Partei an Rhein und Ruhr geöffnet hat.
Frühere "Verstrickungen" werden großzügig übersehen
Als "Matador der Amnestie-Bewegung" (Frei) kämpft Achenbach für die Freilassung der verurteilten Nazi-Kriegsverbrecher. Er fordert auch eine Amnestie für alle "Straftaten der Vergangenheit", die "nicht aus persönlichen Motiven begangen worden sind" - also für ideologisch begründete Taten wie die Nazi-Morde. Doch Achenbach scheitert: In der Adenauer Ära wird zwar großzügig über individuelle "Verstrickungen" in der Vergangenheit hinweggesehen, offene Bekenntnisse zum Nationalsozialismus und Aktionen zu seiner Wiedereinführung sind aber chancenlos. Aus Sicht von Norbert Frei ist die deutsche Amnestie- und Integrationspolitik ebenso entscheidend für die rasche politische Stabilisierung der jungen Republik wie die von den Alliierten eingeleitete Entnazifizierung: "Die zeitweilige Ausschließung der nationalsozialistischen Funktionsträger aus dem öffentlichen Leben hatte dazu beigetragen, nazistische Ideen so weitgehend zu ächten, dass selbst die spätere Rückkehr der 'Ehemaligen' die äußere Stabilität der bundesdeutschen Demokratie nicht mehr gefährdete."