Bereits 1946, in der ersten Session nach Kriegsende, wurde in Düsseldorf und Köln, in kleinem Rahmen und inoffiziell, wieder Karneval gefeiert. Die Vorbereitungen dazu begannen im September 1945, wobei es zunächst darum ging, Überlebende zu suchen und zusammenzuführen. Bis zum ersten Rosenmontagszug dauerte es noch bis 1949.
In beiden Karnevalshochburgen scheute man sich allerdings, die Umzüge offiziell "Rosenmontagszug" zu nennen, weil sie doch wesentlich karger ausfielen, als ihre Vorgänger vor dem Krieg. In Köln nannte man ihn darum "Erweiterte Kappenfahrt", Motto: "Mer sin widder do - un dun, wat mer künne!" ("Wir sind wieder da - und tun, was wir können!"). In Düsseldorf lautete das Motto "Närrische Parade"."Närrisch und erschüttert zugleich"
In ihren Wirkungen auf die Bevölkerung waren sie vermutlich einmalig. Reinold Louis, Kölner Autor und Brauchtumsexperte, zitiert Thomas Liessem, den langjährigen Präsidenten des Kölner Festkomittees und ersten Zugleiter nach 1945:
"Ich sah nur die Menschen, die sich so unbändig freuten und denen doch die Tränen in den Augen standen. Sie winkten aus den ausgebrannten Fensterhöhlen der Ruinen und benutzten ihre Taschentücher immer wieder dazu, ihre feuchten Augen zu trocknen [ ...] Köln war närrisch und erschüttert zugleich. Ich scheue mich nicht zu gestehen: Die Bilder wühlten mich innerlich so auf, dass ich am Ende fix und fertig war."
Sitzungen im Zirkuszelt
Für die Anfänge des Sitzungskarnevals war sowohl in Düsseldorf als auch in Köln der "Circus Williams" von großer Bedeutung. Weil die meisten Säle zerstört waren, mieteten die Düsseldorfer Karnevalisten 1947 das beheizte Winterzelt des Zirkus an der Erkrather Straße für die erste größere Karnevalssitzung. Zum Auftakt kamen unter anderem Oberbürgermeister Karl Arnold, Oberstadtdirektor Walther Hensel sowie der britische Stadtkommandant Cyril W. Barker.
In Köln errichteten Carola Williams, geborene Althoff, und ihr Mann Harry ab 1946 einen halbfesten Winterbau, der mit einem Fassungsvermögen von 2.500 Zuschauern im Juli 1947 als größter Veranstaltungssaal in Köln eingeweiht wurde. Bei der Beschaffung des knappen Baumaterials kam es dabei zu ungewöhnlichen Tauschgeschäften: Der Zirkus gab Elefantenmist und bekam dafür Baustoffe. Der Mist war als hochwertiger Dünger geschätzt.
Briketts als Billets
Während die Zirkus-Spielstätten einigermaßen warm und komfortabel waren, blieben andere Veranstaltungsorte noch lange provisorisch und vor allem kalt. In einem Buch zum 75-jährigen Jubiläum des Düsseldorfer Karnevals schreibt Alfons Houben: "Der 'Allgemeine Verein' lud 1948 zu seiner ersten Nachkriegssitzung in die Maschinenhalle an der Fischerstraße. Der Betonboden, wird erzählt, sei damals derart staubig gewesen, daß die Besucher wie mit Zuckerguß bespritzte Weckmänner ausgesehen hätten.
Der Eintritt zu den alles in allem bescheidenen Fastnachtsfreuden wurde in jenen Tagen, da es kaum etwas zu heizen gab, oft mit ein paar Briketts bezahlt."
Heringssalat ohne Märkchen
Kärglich waren auch die Anfänge der großen Volksfeste in Nordrhein-Westfalen. Und entsprechend fiel dann auch die Berichterstattung in den örtlichen Medien aus. Zur ersten Cranger Kirmes in Herne - damals noch Wanne-Eickel - schreibt das Westdeutsche Volksecho am 13. August 1946 lediglich, dass dort Eis verkauft wurde, in einer Gaststätte Heringssalat ohne Lebensmittelmärkchen zu bekommen war und es in den Kneipen insgesamt schon recht munter zuging. Stadtdirektor Karl Hölkeskamp stellte im November 1946 in der Stadtverordnetenversammlung dennoch fest, dass die Herner Bevölkerung aufgrund der schlechten Ernährungslage "theoretisch tot" sein müsse.
Pützchens-Markt in Bonn-Beuel war bereits im September 1945 wieder zu zaghaftem Leben erwacht. In einem Bändchen zur Heimatgeschichte Beuels schreibt Ignaz Schmitz-Reinhard: "Was überhaupt an Buden und Karussels aus dem Bombenkrieg hatte gerettet werden können, wurde notdürftig zusammengebaut. Es war ein ärmliches Bild, aber doch voller Glück und Hoffnung für die Menschen, die das Grauen des Krieges überstanden hatten."
"Die Hauptsache war, dass wieder gefeiert werden konnte", erinnert sich Christel Kreutzer an die Wiederanfänge der "Größten Kirmes am Rhein" in Düsseldorf. Als junges Mädchen freute sie sich 1947 an Flohzirkus, Schwarzwaldhaus, den ersten Imbissbuden und Fahrgeschäften. Anfang der 50er Jahre lernte sie ihren Mann Ludwig kennen, der später mehrere Jahrzehnte lang Hauptorganisator, und damit "Bürgermeister", der Rheinkirmes war.
Unberechenbarer "Knolli Brandy"
Die Zahl der Fahr- und Belustigungsgeschäfte nahm schnell wieder zu. Das Hauptaugenmerk der Berichterstatter richtete sich bei den ersten Nachkriegsvolksfesten aber vor allem auf das Nahrungsangebot. Zum Pützchens-Markt 1948 schreibt Schmitz-Reinhard: "Er wurde zum Schlaraffenland für zehntausende Menschen, die ausgehungert mit knurrendem Magen zusammenströmten." "Unvorstellbare Mengen von Reibekuchen" seien gebraten worden. Würstchen, Waffeln, Kotellets und Sauerbraten wurden ebenso angeboten wie der damals beliebte "Knolli Brandy"- auch "Krawall-Wasser" genannt - ein selbstgebrannter unversteuerter Schnaps aus Zuckerrüben. Der allerdings war in seiner Wirkung unberechenbar. Der Düsseldorfer Oberstadtdirektor Walther Hensel macht sich in seinen Memoiren Gedanken darüber, dass niemals nachgeforscht worden sei, wieviele Menschen an diesem "Zeugs" gestorben sind.
Obwohl die Bevölkerung das Feiern auf den Volksfesten genoss, war es für viele unerschwinglich. Die Aachener Nachrichten kritisieren schon am 2. August 1946, dass der Besuch der Dürener Annakirmes "für viele der Bevölkerung, namentlich für die Kinder unserer Arbeiter, die oft mit einem Wochenlohn von nur 30 Reichsmark oder noch weniger für eine mehrköpfige Familie nach Hause kommen, unerschwinglich" war.
Des Guten zuviel
Mit den Jahren kehrte die Normalität ein und auch auf den Volksfesten zeigten sich die Auswirkungen des Wirtschaftswunders. Es klingt schon fast nach Überdruss, wenn die Ruhrwacht am 9. Juni 1950 von der Sterkrader Fronleichnamskirmes berichtet, dass die "weit über hundert Unternehmen", die allein Speisen und Getränke anboten, "des Guten wohl etwas zu viel" gewesen seien.