Krankenhäuser sollten Gebetsräume für muslimische Patienten einrichten, Kindergärten die Sprache der türkischen Kinder fördern - ganz praktische Ratschläge erteilt die westfälische Kirche ihren Mitgliedern. Zudem erklärt sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Glauben und will für einen respektvollen Umgang mit Muslimen sorgen. Basis des Papiers ist die so genannte Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Klarheit und gute Nachbarschaft" vom November 2006, die jedoch bei muslimischen Verbänden und auch in eigenen Reihen auch Kritik hervorrief.
Bekir Alboga (45) war einer der Kritiker. Er ist Sprecher des Koordinierungsrats der Muslime in Deutschland (KRM). Bei der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) leitet er zudem das Referat für interreligiösen Dialog.
WDR.de: Zum christlichen Glauben gehöre auch der Missionierungsauftrag, heißt es in der EKD-Handreichung und auch in dem neuen Papier der westfälischen Kirche. Warum ist diese Aussage so verletzend für die muslimischen Verbände?
Bekir Alboga: Wir als Muslime haben nicht gesagt, dass wir uns dadurch verletzt fühlen. Wir haben nur unsere Verwunderung zum Ausdruck gebracht über den Satz, "Dialog schließt Mission nicht aus". Denn es besteht während unserer jahrzehntelangen Begegnungen eine informelle Einigung darüber, dass wir nicht missionieren, wenn wir im Dialog sind. Dieser Satz brachte einen neuen Ton. Es gibt Menschen, die sofort die Kolonialzeit und die Rolle der Missionare damit vebinden und sich fragen, ob man nun ins Mittelalter zurückfällt.
WDR.de: Die westfälische Kirche schreibt ganz moderat, dass christliche Mission nicht auf politischer Macht oder gesellschaftlichen Druck basiert, sondern die Menschen "frei lässt in ihrer Antwort auf die Verkündigung".
Alboga: Die Freiheit der Religionsausübung schließt natürlich auch die Freiheit ein, über seine Religion offen sprechen und dafür werben zu können. Es kommt aber darauf an, ob man dabei eine aggressive Art bevorzugt. Ob man zum Beispiel Menschen in Notsituationen aufsucht, etwa in einem Erdbebengebiet, und hat in der einen Hand Geld und in der anderen Hand die Bibel - das ist eine Art Zwangsbekehrung. Ich denke, die katholische und die evangelische Kirche lehnen diese Art von aggressiver Mission ab, und mit diesem Satz bringt die westfälische Kirche diese Wahrheit auch nochmal pointiert zum Ausdruck.
WDR.de: Thema Religionsfreiheit: Offen kritisiert wird in beiden Schriften, dass in den meisten islamischen Ländern die Christen ihre Religion nicht frei ausüben können.
Alboga: Dabei muss man differenzieren: Es gibt durchaus islamisch geprägte Gesellschaften, in denen neue Kirchen errichtet werden dürfen. Was mich aber insgesamt stört, ist: Einserseits verlangt man von Muslimen in Deutschland, dass sie sich integrieren und als Bürger dieses Landes fühlen sollen. Auf der anderen Seite spricht man offen oder unterschwellig davon, dass Muslime hier Rechte beanspruchen, die in anderen Ländern den Christen nicht gewährleistet werden können. Das ist keine freundliche Art, die den Dialog fördert. Warum sollen die Muslime für Dinge außerhalb Deutschlands ihren Kopf hinhalten, wofür sie kaum etwas unternehmen können? Wir werfen auch den christlichen Gemeinden nicht vor, wenn man hier und dort im Namen des Christentums Blut vergießt. Klar ist: Natürlich müssen wir für die Religionsfreiheit in allen Ländern eintreten.
WDR.de: Die westfälische Kirche bejaht den Bau von Moscheen, sagt aber, die Muslime sollten Fingerspitzengefühl mitbringen.
Alboga: Ob sie eine repräsentative oder eine Hinterhofmoschee haben - es gibt kaum eine Kommune in Deutschland, die den Muslimen erlaubt, den Gebetsruf öffentlich erklingen zu lassen, obwohl die Verfassung eine freie Religionsausübung garantiert und Muslime somit praktisch das Recht auf den Gebetsruf haben. Wir verzichten aber darauf, weil wir seit Jahrzehnten mit diesem Fingerspitzengefühl handeln.
WDR.de: Kommen wir zu den Kindergärten: Die westfälische Kirche möchte Muttersprachler einstellen für die muslimischen Kinder, sieht aber ein Problem in muslimischen Kindergärtnerinnen. Sehen Sie auch ein Problem?
Alboga: Die kirchlichen Kindertagesstätten beziehen staatliche Zuschüsse - das sind auch Steuergelder von Muslimen. Und wenn dort muslimische Kinder integriert werden sollen, und muslimische Eltern haben ein Interesse daran, dass ihre Kinder in einer religiösen Atmosphäre auf die Schule vorbereitet werden - warum kann man nicht andererseits die Großzügigkeit erweisen, muslimische Pädagogen einzustellen? Das würde das Vertrauen in die Kindergärten noch verstärken.
WDR.de: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen heute, nach der Verstimmung im Jahr 2006?
Alboga: Das Verhältnis ist so stabil, dass wir unsere Gespräche uneingeschränkt fortsetzen. Nach dieser Auseinandersetzung mit der EKD war ja Bischof Huber mit einer Delegation in die Mannheimer Moschee gekommen, um den Dialog zwischen Christen und Muslimen wieder aufzunehmen. Unser neuer Vorstandsvorsitzender der Ditib, Sadi Arslan, hat Bischof Wolfgang Huber und Karl Kardinal Lehmann, den früheren Vorsitzenden der Bischofskonferenz, besucht. Gerhard Duncker von der westfälischen Kirche, dort verantwortlich für den christlich-islamischen Dialog, kam noch letzte Woche zur Ditib. Also: Die Gespräche gehen weiter.
Das Gespräch führte Marion Menne.