Ein Junge spielt mit seinem Auto auf der Kirchenbank, Weihrauchschwaden liegen in der Luft und der Priester stimmt einen Gänsehaut verursachenden Gesang an. Ein orthodoxer Gottesdienst unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von einem katholischen oder protestantischen. "Unser Amen dauert zehn mal länger, unsere Messe mindestens drei mal so lange", erzählt Tino Schöfler, die vor 20 Jahren nach Mönchengladbach gekommen ist und einen Deutschen geheiratet hat. Ein Stückchen Heimat findet sie in der griechisch-orthodoxen Gemeinde St. Nikolaos.
Die Oma schickt Kerzen
Zu spät in den Gottesdienst kommen ist kein Problem. Die Gläubigen zünden eine Kerze an, küssen die Ikonen von Jesus und Maria, begrüßen herzlich, aber leise ihre Freunde und folgen dann dem Gottesdienst. Tino Schöflers Tochter Lara, neun Jahre alt, kommt gerne mit in die Messe, besonders in der "Großen Woche", dem Pendant zur "Karwoche". Oma hat mit Spielzeug geschmückte Osterkerzen aus Griechenland geschickt. Die gibt es auch in der Kirche zu kaufen für ein paar Euro.
"Eine schöne Tradition ist das Eiertitschen in der Nacht zu Ostersonntag. Wessen Ei ganz bleibt, der hat im kommenden Jahr Glück und Gesundheit. Übrigens färben wir die Eier alle rot", so Schöfler. Das Rot der Eier steht für das Blut Christi und das Leben.
Die "Große Woche"
In der Woche vor Ostern gibt es in den orthodoxen Gemeinden zahlreiche Traditionen, erklärt Kerstin Keller vom Referat für Schule und Religionsunterricht der Orthodoxen Kirche in Dortmund: "Die Zeit der strengen Enthaltsamkeit beginnt am 'Großen Montag'. Wer es in den 40 Tagen seit Rosenmontag mit dem Fasten nicht so genau genommen hat, verzichtet spätestens in der 'Großen Woche' auf Fleisch- und Fischgerichte sowie Milch- und Eierprodukte."
Höhepunkt: das Osterlicht
Die Gottesdienste stellen die letzte Woche im Leben Christi symbolisch nach. So verehren die Gläubigen Montag und Dienstag die Ikone des gefangenen Christus. Dem heiligen Sakrament der Ölsalbung ist der Mittwoch gewidmet, der Große Donnerstag gedenkt des letzten Abendmahls. Und am Freitag findet die bewegende Prozession statt. Der geschmückte Sarg Christi wird um die Kirche getragen. Den Höhepunkt stellt die Auferstehungsmesse in der Nacht von Samstag auf Sonntag dar, an dem die Kirchenbesucher das heilige Osterlicht empfangen. Traditionell gibt es nach dem Gottesdienst zu Hause in der Nacht noch einen einen Eintopf mit Lamm-Innereien. Am nächsten Tag essen die Griechen viel Kuchen und gegrilltes Lamm.
"Das ist ein schöner Abschluss"
"Ich glaube, der größte Unterschied zu den Gottesdiensten der Katholiken und Protestanten ist, dass die Geschichte von Jesus sehr anschaulich und plastisch dargestellt wird: Die Figur wird vom Kreuz genommen, in Tücher gewickelt und sein blumengeschmücktes Grab wird durch die Straßen getragen. Man bekommt das Gefühl, an der Geschichte teilzuhaben", so Keller. Sie freut sich am meisten auf die Vesper der Liebe, ein Gottesdienst, der am Nachmittag des Ostersonntags in verschiedenen Sprachen über die Geschichte des ungläubigen Thomas erzählt. "Da sind alle Freunde eingeladen, auch die anderer Religionen. Wir trinken danach Kaffee, essen Kuchen und erzählen. Das ist ein schöner Abschluss."