Im Juni 2013 legte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein Papier zum Thema Familienpolitik vor. Die sogenannte Orientierungshilfe wurde von einer 14-köpfigen Kommission verfasst, der unter anderem die Sozialwissenschaftlerin Kerstin Feldhoff (Fachhochschule Münster) angehörte. In dem Papier wird die Haltung der Kirche zu neuen Familienformen thematisiert - unter anderem zu Patchwork-Familien und homosexuellen Partnerschaften. Das 160 Seiten umfassende Werk hat innerhalb der eigenen Reihen für heftige Kritik gesorgt. Der Hauptvorwurf: Die klassische Ehe werde als Leitbild abgewertet.
WDR.de: Frau Feldhoff, als das Papier in der Welt war, wurde es sehr kontrovers aufgenommen. Haben Sie damit gerechnet?
Kerstin Feldhoff: Ich habe, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet. Denn bevor wir das Papier an die Öffentlichkeit gebracht haben, wurde es diverse Male im Rat der Evangelischen Kirche vorgestellt. Die Kommission stand auch in ständigem Kontakt mit dem Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider. Im Nachhinein kann ich mir das nur so erklären, dass die Landeskirchen, vor allem die dortigen leitenden Geistlichen, dabei zu wenig einbezogen waren.
WDR.de: Jetzt gibt es vor allem Kritik daran, dass der Begriff Ehe abgewertet wurde.
Feldhoff: Das kann ich nicht nachvollziehen, denn wir haben sie nicht abgewertet. Was wir getan haben: Wir haben faktisch gelebte Lebensformen anerkannt und gesagt, dass auch diese gesegnet werden sollen. Alle die, die verlässlich und verbindlich füreinander sorgen, müssen auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können. Es geht weniger um die Form, sondern um die Qualität von Beziehung – das ist entscheidend.
WDR.de: Welche Qualitäten stecken Ihrer Meinung nach in dem Papier?
Feldhoff: Wir sprechen beispielsweise Empfehlungen für das praktische Gemeindeleben aus. Wie kann man zum Beispiel verhindern, dass man sich nur auf gutbürgerliche, intakte Mittelschichtfamilien konzentriert? Wie kann man Alleinerziehende oder auch Geschiedene in das Gemeindeleben besser integrieren? Darüber hinaus ist es der Kommission wichtig, dass materielle Armut von Familien und ihre prekären Lebensverhältnisse zur Kenntnis genommen und die z. T. daraus folgende fehlende Teilhabe am Gemeindeleben auch wahrgenommen werden. Man muss sich überlegen, wie man damit umgeht. Das sind ja ganz brennende Themen. Daher hoffe ich immer noch, dass die Diskussion sich nicht weiterhin allein auf die angebliche Abwertung der Ehe fokussiert.
WDR.de: Familie ist ja zurzeit das Thema schlechthin in den Kirchen. Wie erklären Sie sich das?
Feldhoff: Ich hoffe, dass nicht nur das Ziel dahinter steckt, die Geburtenrate zu steigern, sondern dass man in beiden Kirchen endlich wahrnimmt, vor welch hohen Anforderungen Familien heute stehen. Dass diese vielfältige Spagate bewältigen müssen. Dass man sieht: Familienleben gelingt nicht von selbst, sondern braucht vielfältige Unterstützung. Auf diese Herausforderungen und Brennpunkte in der Familienpolitik sind wir ja auch in der Orientierungshilfe dezidiert eingegangen. Und mich irritiert, dass die Kritiker unseres Papiers kaum zur Kenntnis nehmen, welchen Anforderungen Familien heute ausgesetzt sind.
WDR.de: Was erwarten Sie nun hinsichtlich der weiteren Diskussion auf der Synode?
Feldhoff: Es geht nicht darum, dass alle Synodalen uneingeschränkt Ja zu dem Papier sagen. Aber es wäre schön, wenn alle Kapitel diskutiert würden. Damit wird eine Chance eröffnet, den Blick zu weiten. Diese Chance sollte genutzt werden.