Frank Bürgin hatte den Impuls zur Reihe HEIMATABEND im WDR gegeben. Denn alles begann mit einer Dokumentation im Auftrag seiner Heimatstadt Gelsenkirchen.
WDR: Herr Bürgin, Sie sagten einmal im Zusammenhang mit HEIMATABEND GELSENKIRCHEN, die Gelsenkirchener hätten sich in den letzten Jahrzehnten oft schon im Voraus für die Vorurteile entschuldigt, die über Gelsenkirchen kolportiert werden. Andererseits würden die Gelsenkirchener aber gerne in ihrer Stadt leben. Wie passt das mit dem Begriff "Heimat" zusammen, wenn man gleichzeitig offenbar das Gefühl hat, sich entschuldigen zu müssen?
Frank Bürgin: Es geht meines Erachtens tatsächlich um Stolz, um Selbstbewusstsein – das ist den Gelsenkirchenern nach Jahren der Krisenberichterstattung abhanden gekommen. Sie glauben am Ende selbst an das Bild, dass in den Medien über Gelsenkirchen verbreitet wird. Dem wollte ich ein bisschen entgegen wirken, indem ich sie erinnere. Das Klischee über Gelsenkirchen liegt im übrigen in den Archiven des WDR, dort taucht in 180 Fundstellen zu Gelsenkirchen, 160 Mal das Wort "Probleme" auf - und drei Mal das Wort "schön". Für Köln ist es im übrigen umgekehrt (lacht). Natürlich steckt bereits im Titel "Heimatabend" eine ironische Brechung, weil man vielleicht nicht glauben mag, dass es so ein Gefühl in einer Stadt wie Gelsenkirchen überhaupt gibt. Aber es gibt dieses Heimatgefühl, auch wenn die Gelsenkirchener ahnen, das es glanzvollere Städte gibt. Mir geht es darum, zu seiner Geschichte zu stehen.
WDR: Die Reihe "Heimatabend" ist ja vor allem eine illustre Zeitreise in die jeweilige Stadtgeschichte. Wo drin liegt die Stärke einer Dokumentation, die darauf angewiesen ist, üppig mit schwarz-weißem Bewegtbildmaterial arbeiten zu müssen?
Frank Bürgin: Der Heimatabend soll eigentlich kein Blick auf eine Stadt, sondern der Blick aus einer Stadt sein. Mich interessiert, was die Dortmunder, Bochumer, Duisburger, usw. in den jeweiligen Jahrzehnten bewegt hat, wie sie sich selbst gesehen haben. Deshalb haben wir uns sehr um bislang relativ unbekanntes Material aus lokalen Archiven bemüht. Herauskommen sind wirklich spannende Bilder, die sehr lebensnah den jeweiligen Zeitgeist spiegeln.
WDR: Was sicher beeindruckt, das ist die Vielfalt des historischen Materials und die Auswahl der Protagonisten. Am Ende sind bei der zehnteiligen Reihe auch zehn Liebeserklärungen an jeweils eine Stadt herausgekommen. Aber warum sollte beispielsweise ein Dortmunder sich eine Liebeserklärung an Gelsenkirchen ansehen, wenn es im Alltag oft um Abgrenzung und Demütigung des anderen geht, wenn etwa BVB-Fans noch nicht einmal das Wort "Schalke" in den Mund nehmen und nur von den "Blauen" reden? Fußball gehört ja sicher mit zu dem, was das "Heimatgefühl" ausmachen kann.
Frank Bürgin: Das Problem zwischen Dortmund und Gelsenkirchen liegt doch im Grunde darin, dass sich beide Städte und auch die Menschen sehr ähnlich sind. Will sagen, auch Dortmunder werden sich im Heimatabend Gelsenkirchen wieder finden und umgekehrt. Na gut, vielleicht nicht gerade in den Fußballblöcken. Aber selbst da: Der Mittelstürmer der Dortmunder Meisterschaften von 1957 und 1958 war Freddy Kelbassa, der kam aus Gelsenkirchen. Das Problem bei den Ruhrgebiets-Städten lag eher darin, die Unterschiede herauszuarbeiten – Gemeinsamkeiten gibt es zu Hauf. Von außen betrachtet, ist das Revier eine Riesen-Stadt, tatsächlich gibt es kleine, aber feine Unterschiede. Sich dessen bewusst zu werden, ist auch für die Revierstädte untereinander spannend. Und: Ja, das Heimatgefühl entsteht auf der Scholle, in der Straße, im Viertel, …und eben auch beim Verein. Glauben Sie denn, die Hamborner Löwen, interessieren sich notwendigerweise für den MSV? Aber spannend ist es trotzdem.
WDR: Abschließende Frage - hat sich durch Ihre Arbeiten zur HEIMATABEND-Reihe Ihre Sichtweise auf unser Land oder gar Ihr Heimatbegriff geändert?
Frank Bürgin: Ich bin ein emotionaler Mensch. Der Original-Heimatabend deckt sich mit meinem Heimatgefühl für Gelsenkirchen. Ich habe entdeckt, dass es eigentlich fast allen Menschen so geht, dass es eine gefühlsmäßige, kaum zu erklärende, Bindung an einen Ort, eine Stadt gibt. Wobei dieses Gefühl nicht notwendigerweise nur positiv ist. Es mischen sich schöne Erinnerungen mit schlechten, Sentimentalität ist dabei, Traurigkeit, Frust, Siege und Niederlagen… sicher ist der Blick zurück immer etwas verklärt. Aber ich finde es schön zu wissen, wo man herkommt – und es nach Möglichkeit auch nicht zu vergessen.