Es war der 14. Januar 2020. Fast gestern – und doch gefühlt eine Ewigkeit her. Corona gab es schon, aber weit weg – irgendwo in China. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) feiert sich und ihre Klubs bei ihrem Neujahrsempfang in Offenbach. Der Sprecher des DFL-Präsidiums, Christian Seifert, pries in seiner Rede den Wert der beiden Bundesligen, "zwei der erfolgreichsten Sportligen der Welt" mit gewaltiger Finanzkraft.
Die Bundesliga, mittlerweile bei über vier Milliarden Euro Erlösen angekommen, sei die Fußball-Spielklasse "mit dem zweithöchsten Umsatz der Welt", sagte Seifert; und mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen über die Vergabe der Medienrechte "ein verlässlicher Partner" unter den europäischen Top-Ligen und "digitaler Innovationsführer unter den Top-Fußballliegen weltweit".
Wer wollte, konnte schon die Dollarzeichen in den Augen der anwesenden Vereinsvertreter sehen: weitere Umsatzsteigerungen zu den jetzt schon gigantischen fast 1,5 Milliarden aus Medienrechten pro Saison - im Grunde die logische Folge im "richtungsweisenden Jahr" 2020, so Seifert.
Mangel an Weitsicht
Fast auf den Tag genau zwei Monate später, 16. März 2020. Das Virus hat die Bundesliga in ihren Grundfesten erschüttert – und bisher war das Jahr in der Tat richtungsweisend. Es ging so bergab für den deutschen Fußball, dass Christian Seifert sagte: "Ohne Geisterspiele wird es keine 18 Profiklubs mehr geben." Da ahnte er schon, was kürzlich in der DFL-Mitgliederversammlung zur Sprache kam: 13 von 36 Profiklubs befürchten die Insolvenz.
Zahlungsunfähigkeit statt goldener Zukunft. Wo ist sie hin, die Stabilität der Top-Liga? Wie konnte so schnell aus dem Tiger ein Bettvorleger werden? Professor Dr. Henning Zülch von der Handelshochschule Leipzig widmet sich immer wieder den Bilanzzahlen der Fußball-Bundesliga. Um Antworten darauf zu finden, wie der deutsche Profifußball so rasch in Schieflage geraten konnte, untersuchen Zülch und seine Mitarbeiter derzeit die Konzernabschlüsse aller Bundesligisten.
Lob fürs Management bekommen Branchenriesen wie der FC Bayern, Borussia Dortmund, auch noch Bayer Leverkusen und die TSG 1899 Hoffenheim. Ansonsten registriert er auch einen weit verbreiteten Mangel an Weitsicht in der Liga. Managementfehler seien der Grund dafür, dass viele DFL-Klubs jetzt in einer ernsthaften Existenzkrise seien. "Es ist ein Tagesgeschäft. Das heißt, ich gehe auf den kurzfristigen Erfolg. Und der kurzfristige Erfolg hilft mir, wenn ich Glück habe, natürlich über eine, über zwei Saisons. Aber ich muss nachhaltig arbeiten. Und das bedeutet eine Strategie entwickeln: Wo soll der Klub in fünf Jahren stehen. Und diese Strategie, das muss eine Basisstrategie sein, die darf nicht durch das Tagesgeschäft Fußball-Bundesliga obsolet werden."
So ist aus Schalke bekannt, dass die Gehaltsstruktur aus Champions-League-Zeiten sich fatal in dieser Saison auswirkt, da der Verein international zuschauen muss. Ungeachtet des zweithöchsten Konzernumsatzes der Klubgeschichte von 275 Millionen Euro weisen die Königsblauen für 2019 einen Fehlbetrag Verlust von 27,1 Millionen Euro und ein negatives Eigenkapital von 18,5 Millionen Euro aus. Zülch: "Das ist etwas, was man mal überlegen muss, vielleicht ist es manchmal auch besser, einen Platz im Mittelfeld zu stabilisieren - und aus dieser sicheren Position heraus zu überlegen: Kann ich vielleicht in den nächsten zwei, drei Jahren mit dem Investment in der Marktsituation Erfolge erzielen? Das ist strategisch viel, viel hilfreicher, als wenn ich auf den kurzfristigen Erfolg ziele, der mir viel mehr Risiken einbringt, als dass er mir am Ende hilft. Und das sehen wir bei einigen Klubs."
Eigenkapitalwerte getrieben durch Bayern und Dortmund
Die Liga, die derzeit nur ein Produkt habe, und zwar den Spielbetrieb, und immer unter dem Druck stehe, diesen zu finanzieren, müsse "wegkommen vom kurzfristigen Denken". Und davon, mit Investorengeldern vornehmlich Löcher zu stopfen. Doch was bedeutet das für die Klubs, die von der DFL Jahr für Jahr in einem angeblich sehr strengen Verfahren lizenziert werden? Viele Vereine weisen seit Jahren ein sehr geringes, einige sogar ein negatives Eigenkapital aus – Etats sind oft auf Kante genäht, einige Vereine strukturell überschuldet.
Laut der von der DFL veröffentlichten Finanzkennzahlen weisen auch drei Erstligisten ein negatives Eigenkapital aus. Das Eigenkapital aber ist – für viele Unternehmen auch ein Puffer bei Krisen wie derzeit. Zülch betont, dass die von der DFL angegebene hohe Eigenkapital-Quote von 48 Prozent getrieben werde durch die Zahlen der großen Klubs wie Bayern und Dortmund. "Je größer das Eigenkapital ist, desto besser sind sie gegen Risiken gefeit, weil sie dieses Eigenkapital nutzen können um beispielsweise zu restrukturieren in den schwierigen Situationen", so Zülch: "Je höher das Eigenkapital mit der Zeit wächst, umso mehr ist es ein Zeichen von guter strategischer Investorenattraktivität." Sei das Eigenkapital gering oder gar negativ, bedeute dies, "dass sie mittelfristig in eine sogenannte Illiquidität laufen, und der nächste Schritt wäre die Insolvenz". Eine Situation, in der viele Klubs aktuell stecken.
Lehren aus der Krise
Als eine wesentliche Lehre aus der Corona-Krise sollte die DFL nach Zülch ihre Zulassungskriterien deutlich zu verschärfen. Einheitliche Rechtsformen und Kriterien, ähnlich der deutschen Börse. "Wenn Sie sich die Klubs der ersten Liga anschauen, ist es ja so, wir diskutieren hier über Unternehmen, die eine Größe haben, durchschnittliche Umsatzerlöse 200 Millionen, durchschnittliches Eigenkapital von 100 Millionen. Das ist vergleichbar mit Unternehmen, beispielsweise im SDAX. Und die sind an die Regeln der deutschen Börse gebunden", betont der renommierte Wirtschaftswissenschafter: "Wenn sie dort in diesen Markt eintreten wollen, dann müssen sie gewisse Bilanzierungsstandards erfüllen, d.h. gewissen Transparenz- und Offenlegungspflichten nachkommen, die mit einer höheren Veröffentlichungsfrequenz einhergehen für Quartalsberichte und Halbjahresberichte. Diese Informationen finden sie beispielsweise gar nicht."
Außer beim BVB, der als börsennotiertes Unternehmen dazu verpflichtet ist. Für alle Beteiligten seien aber solche Transparenzanforderungen regelrechte Frühwarnsysteme. Deshalb müsse sich die DFL jetzt die Frage stellen: "Kann man eine vergleichbare Eintrittskarte entwickeln für den deutschen Fußball und die deutsche Bundesliga, um damit auch gefeit zu sein vor der Krise." Ansonsten, glaubt Zülch, werde sich vieles von selbst regulieren.
Im Schnitt gibt derzeit jeder Erstligist 80 Millionen Euro pro Saison für Spieler- und Trainergagen aus, 46 Millionen für Transfers. Und, auch das gehört zur Wahrheit: Dass viele jetzt in der Krise klagenden Vereine teilweise hohe zweistellige Millionenbeträge pro Saison für Spielervermittler-Provisionen bezahlen.
"Und deshalb ist dieser Covid-19 und die Situation, in der wir sind, auch heilsam - weil wir über die Marktregularien und damit die Stellschrauben nochmal neu nachdenken müssen. Denn so wird es definitiv nicht weitergehen, weil die Klubs nicht mehr in der Lage sein werden, dieses künftig zu finanzieren", sagt Zülch und ergänzt: "Die Klubs, die übrig bleiben."