Warum immer weniger Arztpraxen Abtreibungen anbieten

Stand: 28.09.2024, 19:08 Uhr

Es gibt immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche in ihren Praxen durchführen. Woran liegt das?

Von Catharina Coblenz

Heute ist Safe Abortion Day, ein weltweiter Aktionstag, der auf das Thema "sicherer Schwangerschaftsabbruch" aufmerksam machen soll. Die Organisatoren fordern unter anderem mehr Praxen und Krankenhäuser, die die Abbrüche durchführen.

Die Realität sieht jedoch bislang anders aus: Es gibt immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche in ihren Praxen durchführen. Dadurch müssen Frauen zum Teil weite Wege auf sich nehmen um einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen zu lassen.

Dr. Kristina Hänel | Bildquelle: dpa/Boris Roessler

Kristina Hänel ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Paragraf 219a abgeschafft wurde, der die "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" unter Strafe gestellt hatte. Sie sieht verschieden Gründe dafür, dass immer weniger Praxen Schwangerschaftsabbrüche anbieten.

Eine Herzensangelegenheit

Hänel sagt, dass es einem Generationenwandel geschuldet sei, dass immer weniger Praxen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In Deutschland haben Frauen erst seit 1975 die Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen straffrei abzutreiben. Davor stand der Abbruch der Schwangerschaft generell unter Strafe. Aus diesem Grund versuchten damals viele Frauen die Abbrüche selbst durchzuführen – mit zum Teil lebensbedrohlichen Folgen.  

Die Ärzte-Generation, die schon zu dieser Zeit praktizierte, hat das miterlebt und "Frauen sterben gesehen", sagt Hänel. Daher habe es diesen Ärztinnen und Ärzten am Herzen gelegen etwas zu verändern - sie hatten eine "politische Motivation". Diese Generation von Ärztinnen und Ärzten sei jetzt jedoch am Ende ihrer beruflichen Laufbahn angelangt. Die nachfolgende Generation habe dagegen eine andere Ausgangssituation, da das Thema lange nicht mehr debattiert worden sei.

Angst vor Anfeindungen

Weiter sagt Hänel, dass es "schwieriger ist Ärztinnen und Ärzte dafür zu gewinnen, wenn es illegal ist". Denn: Abtreibungen sind in Deutschland grundsätzlich illegal, auch wenn sie unter bestimmten Bedingungen straffrei sind. Außerdem wären Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, oft Anfeindungen ausgesetzt. Sie hätten Angst davor, bedroht zu werden und dass ihnen Nachteile daraus entstünden.

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hatte bereits im April dieses Jahres vorgeschlagen, Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche zu legalisieren. Durch eine Legalisierung würde sich laut Hänel viel für die Ärztinnen und Ärzte ändern. Es gäbe zwar wahrscheinlich weiterhin Anfeindungen, aber die Lage würde sich verändern. Man könne dann argumentieren, dass der Abbruch einfach zur "medizinischen Versorgung dazugehört".

Kein Bestandteil der ärztlichen Ausbildung

Auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Kerstin Tack sagt, dass es derzeit viele Hürden für ungewollt Schwangere gebe, weil immer weniger Ärzte Abbrüche durchführten. Sie sieht den Grund dafür auch darin, dass das Thema kein regulärer Bestandteil der ärztlichen Ausbildung sei. Auch Hänel sagt, dass das Thema an den Universitäten nur in "ethischen Aspekten gelehrt, aber nicht in medizinischen."

Vor der Abschaffung von §219a sei, laut Hänel, sogar verboten gewesen über das Thema zu sprechen. Es hätte auch Anklagen gegen Dozenten gegeben, weil sie das Thema in ihren Seminar angesprochen haben. Seit der Abschaffung des Paragraphen könne an den Universitäten jedoch frei über das Thema gesprochen werden.

"Nein, sowas machen wir hier nicht."

Laura Hessel ist selbst Medizin-Studentin und sie setzt sich aktiv dafür ein, dass an den Universitäten zu dem Thema mehr gelehrt wird. Als sie selbst ungewollt schwanger wurde, stand die Entscheidung einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen schnell fest.

Im YouTube-Format "Die andere Frage" erzählt sie, wie schwierig es sein kann, eine Praxis zu finden, die den Abbruch durchführt. In der Praxis, die bei ihr die Schwangerschaft feststellte, fragte sie gleich ob diese auch den Schwangerschaftsabbruch durchführen würden. Daraufhin hätte man sie nur geschockt angeschaut und gesagt "Nein, sowas machen wir hier nicht."

Sie hatte Glück und bekam einen Termin in einer Praxis in der Nähe, die den Abbruch vornehmen kann. Aber sie sagt: "Das kann nicht sein, dass Leute mehrere 100 Kilometer fahren müssen, um irgendwie zu einer Ärztin oder einem Arzt zu kommen. Das sind unglaubliche Barrieren und Hürden."

Neue Debatte, neues Bewusstsein

Seit 2017 ist die Debatte um das Thema Schwangerschaftsabbruch wieder neu entfacht. Laut Hänel gebe es dadurch wieder eine neue Generation angehender Mediziner, die sich stärker für das Thema einsetzt. So beispielsweise die "Medical Students for Choice" - eine Studentenorganisation, die es inzwischen an fast allen Universitäten in Deutschland gibt.

Medizinstudierende üben den Eingriff eines Schwangerschaftsabbruchs an einer Papaya | Bildquelle: WDR/Silke Niewenhuis

Neben Vorträgen und Buchvorstellungen, veranstalten die "Medical Students for Choice" auch sogenannte "Papaya-Workshops", in denen angehende Mediziner neben rechtlichen und ethischen Aspekten auch die medizinischen Grundlagen des medikamentösen Schwangerschaftsabbruches erlernen können.

Laut Hänel habe diese neue Generation wieder ein anderes Bewusstsein für die Thematik entwickelt. Es bestehe also die Möglichkeit, dass in Zukunft wieder mehr Praxen Schwangerschaftsabbrüche anbieten - es würde jedoch noch eine Weile dauern, bis die neue Generation von Medizienern auch wirklich praktiziert.

Quellen:

  • Interview mit Kristina Hänel
  • Nachrichtenagentur DPA
  • YouTube - "Die andere Frage"
  • Homepage "Medical Students for Choice"