Volkskrankheit Adipositas: Wie schlimm Fatshaming sein kann

Stand: 18.10.2024, 06:00 Uhr

In Köln endet am Freitag der Adipositas-Kongress: Übergewichtige Menschen erfahren oft Diskriminierung, werden angepöbelt, schräg angeschaut. Das hat negative Auswirkungen auf ihre psychische und physische Gesundheit. Die Stigmatisierung erleben adipöse Menschen sogar im Gesundheitswesen. Obwohl sie oft nichts für ihr Übergewicht können.

In Deutschland gelten rund zwei Drittel der Männer und etwa die Hälfte der Frauen als übergewichtig, also haben einen Body Mass Index (BMI) von über 25. Ab einem BMI von 30 spricht man von Adipositas. Davon ist rund ein Viertel der Erwachsenen betroffen.

Lydia Schöwerling | Bildquelle: WDR

Dazu zählt auch Adipositas-Patientin Lydia Schöwerling aus Köln. Sie war jahrelang 160 Kilo schwer. Schon als Kind hatte sie Probleme mit ihrem Gewicht. Im Sportunterricht wurde sie gehänselt und in der Öffentlichkeit schikaniert. Sprüche wie "Du fette Sau" bekam sie oft zu hören. Dabei ist längst klar, dass Übergewicht nicht zwangsläufig auf Selbstverschulden zurückgeführt werden kann.

Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft listet neben den selbsterklärenden Ursachen wie ein ungesunder Lebensstil oder Essstörungen viele weitere Gründe für Übergewicht auf, zum Beispiel:

  • endokrine Erkrankungen
  • genetische Bedingungen
  • Schlafmangel und Stress
  • depressive Erkrankungen
  • niedriger Sozialstatus
  • Medikamente (wie Antidepressiva, Neuroleptika, Betablocker)

Auch andere Adipositas-Ursachen wie Schwangerschaft und Nikotinverzicht werden von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft erwähnt. 

Weit verbreitete Volkskrankheit 

Adipositas ist eine chronische Erkrankung und bedarf einer lebenslangen Betreuung und Behandlung. Sie kann schwerwiegende Folgeerkrankungen hervorrufen wie Herzkrankheiten, Schlaganfall und Diabetes. 

Auch der Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, Prof. Dr. Jens Aberle, warnt vor der schlechten medizinischen Versorgung adipöser Menschen:

Adipositas ist die unterschätzte Volkskrankheit schlechthin! Keine andere chronische Krankheit, die so weit verbreitet ist, ist in Deutschland dermaßen unterversorgt. Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft

Auf diese Mängel macht auch der diesjährige Adipositas-Kongress in Köln aufmerksam.

Schikane auf allen Ebenen 

Betroffene erfahren oft sowohl gesellschaftliche Diskriminierung als auch Hänseleien im engsten Kreis der Familie oder in Partnerschaften. Sogar beim Arzt würden Beschwerden von Adipositas-Patienten einzig und allein auf die Fettleibigkeit zurückgeführt.

Das bestätigt auch Friedrich Schorb. Der Soziologe forscht am Institut für Public Health der Universität Bremen zum Thema "Gewichtsdiskriminierung". Adipöse Menschen würden bei ärztlichen Untersuchungen teilweise nicht richtig abgetastet, obwohl es eigentlich notwendig wäre, um einen angemessenen Befund machen zu können. 

Friedrich Schorb, Soziologe | Bildquelle: Marcus Wiechmann

Patienten erhielten unreflektierte Ratschläge zur Gewichtsreduktion und Gesundheitsprobleme würden ohne eingehende Untersuchung auf die Adipositas zurückgeführt. Die Folgen seien fatal, so Schorb: Betroffene entwickelten Misstrauen gegenüber Behandelnden und vermieden Termine. Manche würden dann auch präventivmedizinische Untersuchungen nicht mehr wahrnehmen.

Interview mit Friedrich Schorb: Diskriminierung wegen Übergewicht WDR Studios NRW 18.10.2024 06:56 Min. Verfügbar bis 18.10.2026 WDR Online

Dass die Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas sich direkt negativ auf deren psychische und physische Gesundheit auswirkt, rückt die Deutsche Adipositas-Gesellschaft in ihrer aktualisierten Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas" in den Mittelpunkt. Die Autoren der Leitlinie fordern, dass über diesen Zusammenhang mehr in der Ausbildungsphase von Medizinerinnen und Medizinern aufgeklärt wird.

Anderen Mut machen 

Nachdem sich der Zustand bei Adipositas-Patientin Lydia Schöwerling durch Sport und Ernährung kaum merklich verbessert hat, hat sie sich mit Mitte dreißig für eine Magenverkleinerung entschieden. Dadurch hat sie über 60 Kilogramm verloren. Inzwischen organisiert sie sich in Selbsthilfegruppen. Mit ihrer Geschichte will sie anderen Betroffenen Mut machen. 

Über dieses Thema berichtet der WDR am Freitag auch in seinen Radioprogrammen: zum Beispiel ab 6 Uhr im "Morgenecho" bei WDR 5.

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