Merz legt Gesetzentwurf Migration vor: "Showdown" am Freitag Aktuelle Stunde 28.01.2025 35:05 Min. UT Verfügbar bis 28.01.2027 WDR Von Julius Hilfenhaus

Migrationsdebatte: Merz, die AfD und der Druck auf Parteien der Mitte

Stand: 27.01.2025, 20:01 Uhr

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz verschärft den Ton in der Migrationsdebatte. Die CDU will zwei Anträge zur Migration in den Bundestag einbringen. Damit macht er kurz vor der Bundestagswahl noch Druck auf andere Parteien der Mitte und nimmt dabei auch Stimmen der AfD in Kauf. Was treibt ihn an?

Friedrich Merz hat im Fall eines Wahlsiegs eine drastisch härtere Migrationspolitik angekündigt. Der CDU-Parteivorsitzende und Chef der Unionsfraktion kündigte an, zwei entsprechende Anträge im Bundestag einzubringen. Möglicherweise wird das Parlament darüber schon am Mittwoch diskutieren. Ob die Anträge eine Mehrheit finden, ist noch unklar.

Merz nimmt Stimmen der AfD in Kauf

Umstritten ist der Vorstoß von Merz vor allem deshalb, weil der Unionskanzlerkandidat ausdrücklich in Kauf nimmt, sein Ziel mithilfe der AfD zu verwirklichen. Ohne Stimmen der in Teilen rechtsextremen Partei gibt es kaum Chancen, dass die Anträge Zustimmung finden. Zugleich betont Merz aber, mit der AfD nicht zusammenarbeiten zu wollen.

Fragen und Antworten zu der Debatte:

Was fordert die Union in ihrem Migrations-Papier?

In ihrem Papier fordert die Union "fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration". Zusammengefasst sind es diese Forderungen:

  • Dauerhafte Grenzkontrollen
  • Keine Einreise ohne Dokumente
  • Abschiebehaft
  • Unterstützung durch Bundespolizei
  • Unbefristeter Ausreisearrest

Die Union fordert dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche einer illegalen Einreise. Es gelte ein faktisches Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente haben und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen, heißt es in dem Papier. Und weiter:

"Diese werden konsequent an der Grenze zurückgewiesen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern oder nicht. In unseren europäischen Nachbarstaaten sind sie bereits sicher vor Verfolgung, einer Einreise nach Deutschland bedarf es somit nicht."

Nachvollziehbar ausreisepflichtige Menschen sollen "unmittelbar in Haft genommen werden und die Abschiebung soll täglich erfolgen". Die Bundesländer sollen mehr Unterstützung beim Vollzug der Ausreisepflicht erhalten. Zudem soll das Aufenthaltsrecht für Straftäter und sogenannte Gefährder verschärft werden. 

Wie begründet Merz sein Vorgehen?

Man werde die Anträge einbringen "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt", so die Marschrichtung von Merz. Er lasse sich nicht davon abbringen, das Richtige zu tun, "nur weil die Falschen es auch für richtig halten", so Merz im ZDF.

"Wir machen in der Unionsfraktion das, was wir in der Sache für richtig halten. Und wenn die AfD zustimmt, dann stimmt sie zu." Friedrich Merz, Unionsfraktionschef

In den Anträgen kritisiert die Union die AfD und bezeichnet sie als politischen Gegner. Die Partei schüre Fremdenfeindlichkeit und bringe Verschwörungstheorien in Umlauf.Er verhandle nicht mit der AfD, auch nicht mit dem BSW und anderen, sagte Merz.

Merz und die harte Linie - was treibt ihn an? Gespräch mit Politikwissenschaftler Volker Kronenberg WDR Studios NRW 24.01.2025 06:13 Min. Verfügbar bis 25.01.2027 WDR Online

Was bezweckt Merz mit den Anträgen - und mit welchen Folgen?

Sabine Henkel, ARD-Korrespondentin | Bildquelle: Sabine Henkel

Die ARD-Korrespondentin im Hauptstadtstudio Sabine Henkel deutet es als taktischen Zug: Merz wolle mit der Migrationsdebatte einen Politikwechsel einleiten. "Offenbar geht es Merz und seinen Leuten darum, Druck zu machen - auch auf die politische Mitte."

"Man will die anderen Parteien bewegen, mitzuziehen. Das Heft in die Hand zu nehmen, scheint die Maxime zu sein", sagte Politikwissenschaftler Volker Kronenberg von der Universität Bonn.

Volker Kronenberg, Politikwissenschaftler | Bildquelle: WDR

"Es ist eine Gratwanderung für alle, die sich jetzt im Wahlkampf befinden. Gleichzeitig ist ja die Erwartungshaltung in der Bevölkerung, dass sich etwas ändert, extrem groß", sagte Politikwissenschaftler Volker Kronenberg von der Universität Bonn dem WDR.

"Jetzt zu sagen, wir vertagen das alles bis nach der Wahl, könnte ja umgekehrt auch der AfD zu weiterem Auftrieb verhelfen", so seine Einschätzung. Daher nehme Merz in Kauf, dass die politische Konkurrenz seinen Vorstoß als Bröckeln der "Brandmauer" interpretiert.

Merz habe mit seinem Vorstoß auch Rot-Grün gestärkt, glaubt der Chefredakteur des Berliner Verlags "Table Media", Michael Bröcker. Denn SPD und Grüne hätten jetzt das Anti-Merz und Anti-AfD-Kooperationsthema, das sie immer gesucht hätten.

Interview Bröcker - Politische Analyse zu CDU-Migrationspolitik WDR Studios NRW 27.01.2025 07:35 Min. Verfügbar bis 27.01.2027 WDR Online

Wie realistisch sind die Unions-Pläne zur Migration?

SPD und Grüne dürften aus politischen und rechtlichen Gründen gegen die Anträge der Union stimmen. Ihre Zweifel: Wer soll die Grenze kontrollieren bei dem Personalmangel? Und ist das alles überhaupt mit europäischem Recht vereinbar?

Gerald Knaus, Migrationsforscher | Bildquelle: Francesco Scarpa / ESI

Nach Einschätzung des österreichischen Migrationsforschers Gerald Knaus verstoßen die Pläne des Unions-Kanzlerkandidaten massiv gegen geltendes EU-Recht sowie das Schengen- und das Dublin-Abkommen. Und auch die Gewerkschaft der Polizei hält Grenzkontrollen schon organisatorisch für nicht umsetzbar.

Daniel Friedrich Sturm, Mitglied der Chefredaktion des "Tagesspiegels" spekulierte am Montag im WDR-Interview: Nach der Wahl werde es wohl zu einer Koalition aus CDU/CSU und SPD kommen. Und diese werde sich dann tatsächlich sehr bald auf eine Verschärfung in der Migrationspolitik einigen. Vor der Wahl jedoch sei nichts Großes mehr zu erwarten.

Wie reagieren die anderen Parteien?

AfD, BSW und FDP haben ihre Zustimmung zu den Vorschlägen von Merz signalisiert.

Die SPD will Anträge zu den schärferen Sicherheitsgesetzen und der nationalen Umsetzung der europäischen Asylreform einbringen, zu denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bisher die Zustimmung verweigert hatte. Auch die Grünen haben starke Bedenken wegen der Unions-Anträge.

Unsere Quellen:

  • Einschätzung der Korrespondentin Sabine Henkel, ARD-Hauptstadtstudio
  • WDR-Interview mit Politikwissenschaftler Volker Kronenberg
  • WDR-Interview mit dem Politikwissenschaftler Michael Bröcker
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Nachrichtenagentur Reuters