Kehrtwende bei Facebook und Co: Wie kann die EU sich aufstellen Aktuelle Stunde 08.01.2025 34:22 Min. UT Verfügbar bis 08.01.2027 WDR Von Jan Hofer

Weniger Regeln bei Facebook: Netzaktivist fürchtet mehr Rassismus

Stand: 08.01.2025, 15:36 Uhr

Keine Faktenchecks mehr, weniger Regeln für Facebook-Inhalte: Der Netzaktivist Markus Beckedahl sieht darin einen Kniefall von Meta-Chef Mark Zuckerberg vor dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Damit seien Rassismus und Diskriminierung auf den Meta-Plattformen in Zukunft ausdrücklich erlaubt.

Von Ingo Neumayer

Noch vor einem Jahr galt Mark Zuckerberg, zu dessen Meta-Konzern unter anderem Facebook, Instagram und WhatsApp gehören, als Gegner von Donald Trump. Zuckerberg hatte nach dem Sturm auf das Kapitol Trumps Facebook-Account gesperrt, später im US-Wahlkampf nannte Trump die Plattform "Feind des Volkes".

Doch ähnlich wie X-Inhaber Elon Musk hat sich auch Zuckerberg mit Trump arrangiert und baut seine Plattformen im Sinne des designierten US-Präsidenten um: Keine Faktenchecks mehr, weniger Moderation, weniger Regeln. Eine Entwicklung, die Markus Beckedahl mit Sorge betrachtet. Der Netzaktivist hat jahrelang das Blog netzpolitik.org geleitet und die Netzkonferenz "Re:Publica" mitbegründet.

WDR: Elon Musk hat angekündigt, am 9. Januar auf X ein Live-Interview mit Alice Weidel zu machen. Gibt es dann vor der Bundestagswahl 2029 ein Interview zwischen Weidel und Mark Zuckerberg, das auf Facebook, Instagram und Whatsapp live übertragen wird?

Markus Beckedahl: Dieses Szenario ist durchaus vorstellbar und nicht übertrieben. Die Frage ist allerdings, ob Mark Zuckerberg selbst als öffentliche Person in solche politischen Debatten einsteigen will. Oder ob er nur - wie gerade gesehen - einen Kniefall vor Trump macht, um sein Unternehmen vor Regulierungen und weiteren negativen Maßnahmen zu bewahren.

WDR: Warum driften Soziale Medien nach rechts, wenn man sie nicht reguliert?

Beckedahl: Das würde ich so nicht sagen. Das trifft zwar auf X zu, das von Elon Musk gekauft wurde, der offenkundig ein rechtsradikaler Verschwörungsideologe ist. Und jetzt droht das offenbar auch bei den Plattformen Facebook, Instagram und Whatsapp. Dennoch ist das nur ein Teil der großen Plattformen, es gibt auch Gegenbeispiele. So gibt es mit Mastodon eine dezentrale Open-Source-Öffentlichkeit, auf der es nicht so viele Nazis und ihre Meinungen zu lesen gibt. Die wird von rechter Seite verdächtigt, eher links zu sein.

WDR: Welche Möglichkeiten hat die Politik, um Zuckerbergs Pläne zu unterbinden?

Beckedahl: Die EU hat Regeln zur Plattformregulierung, unter anderem den "Digital Services Act". Der verpflichtet große Plattformen, ihrer Verantwortung nachzukommen und beispielsweise Desinformation, Hass und Hetze wirksam zu bekämpfen. Wie das konkret durchgesetzt wird, lässt sich in den kommenden Monaten und Jahren beobachten.

Netzaktivist Markus Beckedahl | Bildquelle: dpa/Jan Zappner

Für die großen Plattformen ist die EU-Kommission zuständig, da arbeiten wenige hundert Menschen an der Durchsetzung dieser Regeln. In Deutschland ist das Aufgabe der Bundesnetzagentur, die mit zwei oder drei Dutzend Mitarbeitern zuständig ist für über 6.000 Digitalunternehmen. Hier könnte die Bundesregierung mehr Personal bewilligen, damit unsere Regeln effektiver durchgesetzt werden. Wenn das geschehen ist, wird man sehen, ob die Regeln ausreichend sind.

WDR: Zuckerberg sagt, er will unabhängige Faktenchecker abschaffen und durch "Community Notes" ersetzen - die User stimmen also ab, was der Wahrheit entspricht und was nicht. Reicht das aus im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben?

Beckedahl: Das ist umstritten. Meta hat noch im vergangenen Jahr explizit auf die Faktenchecker in Europa verwiesen als Beweis, dass man effektiv gegen Hetze und Desinformation vorginge. Dieses Argument kann er zukünftig nicht mehr bringen. Vor allem dann nicht, wenn sich herausstellt, dass die "Community Notes" in der Realität gar nicht so viel bringen wie erhofft.

WDR: Es gibt ja das Phänomen der Schwarmintelligenz und der Weisheit der Masse, was etwa bei Wikipedia zum Tragen kommt. Warum funktioniert das bei "Community Notes" so schlecht?

Beckedahl: Bei Wikipedia funktioniert das super, aber eben mit oft langwierigen Debatten. Für eine Enzyklopädie einen neutralen Standpunkt zu finden, bei dem alle Meinungen vertreten sind, ist ein ganz anderer Prozess als eine politische Debatte mit Trump-Unterstützern. Die erkennen eben eine Lüge von Trump nicht als Lüge an, weil das in ihrer alternativen Faktenwelt real und keine Lüge ist. Zudem spielt auch der Zeitdruck eine Rolle.

Läuft bei Facebook bald noch mehr schief? | Bildquelle: picture alliance / dpa / Lukas Schulze

Faktenchecks dienen auf diesen Plattformen ja vor allem dazu, Inhalte, die schnell viral gehen, auf Falschinformationen zu überprüfen und gegebenenfalls mit einem Warnhinweis zu versehen. Das Ganze auf die Community übertragen, funktioniert meiner Meinung nach nicht. Wie soll man dort innerhalb eines Tages gemeinsam einen neutralen Standpunkt finden?

WDR: Es gibt aber auch an Faktencheckern immer wieder Kritik: Viele seien voreingenommen und würden zu schnell eingreifen.

Beckedahl: Es stimmt, es gab da einzelne Fälle, wo es dieses Problem gab. Das wurde dann aber politisch total ausgeschlachtet mittels einer Kampagne von Rechtsaußen. Die hatte einen einfachen Grund: Die Rechten wollen nicht beim Lügen erwischt werden, ihre Desinformationsstrategien sollen nicht offengelegt werden.

WDR: Nicht nur die Faktenchecker sollen abgeschafft werden, auch soll es weniger Regeln für das geben, was man auf den Plattformen schreiben und posten darf. Zuckerberg hat da explizit die Themen "Immigration" und "Gender" genannt.

Beckedahl: Facebook hat sich selbst immer schon Content-Regeln gegeben. Aufgrund von öffentlichem Druck, aber auch wegen der Biden-Administration und der EU-Kommission hat man verstärkt darauf geachtet, rassistische und diskriminierende Posts nicht zu tolerieren und gegebenenfalls zu löschen. Gestern hat Zuckerberg angekündigt, genau bei diesen Themen keine Regeln mehr durchzusetzen. Er verwies darauf, dass der Mainstream-Diskurs sich geändert hätte und nun auch andere Meinungen unter der Redefreiheit artikuliert werden sollten.

Auf gut Deutsch heißt das: Rassismus und Diskriminierung sind auf den Meta-Plattformen in Zukunft ausdrücklich erlaubt. Markus Beckedahl

WDR: Wird es dann dort bald so zugehen wie bei X, wo sich ja in den vergangenen Monaten einige Menschen und Institutionen verabschiedet haben, weil sie keine Lust mehr auf die Hetze und die verrohte Diskussionskultur haben, die dort herrscht?

Beckedahl: Ich glaube, bis dahin ist noch ein weiter Weg. Es wird dauern, Instagram und Facebook so schnell so kaputt zu machen, wie das Elon Musk mit dem früheren Twitter geschafft hat. Aber schon heute sind viele konstruktive Debatten auf den Meta-Plattformen gar nicht mehr möglich. Und in Zukunft wird das alles noch viel schlimmer werden.

WDR: Elon Musk verdient sein Geld mit Autos, Satelliten und Raketen. Dass X rote Zahlen schreibt, muss ihn erst einmal nicht kümmern. Das sieht bei Mark Zuckerberg anders aus, der hat "nur" die Meta-Plattformen. Kann das eine Rolle spielen? Denn am Ende sind solche Auswüchse ja geschäftsschädigend, wenn die Anzeigenkunden wegbleiben.

Schmaler Grat für Mark Zuckerberg | Bildquelle: IMAGO/Newscom World/Tom Williams

Beckedahl: Das ist die spannende Frage. Meta und Google kontrollieren größtenteils den Online-Werbemarkt, und Meta ist darauf angewiesen, dass Werbekunden weiter Geld bei ihnen lassen. Da befindet sich das Unternehmen auf einer Gratwanderung: Einerseits will man Trump entgegenkommen, andererseits aber nicht - so wie bei X - alle Werbekunden verprellen. Hier könnte ein starker Hebel für die Werbekunden entstehen, auf Meta so einzuwirken, dass das Unternehmen seiner gesellschaftlichen Verantwortung - gerade auch in der EU - ausreichend nachkommt.

WDR: Wie sieht Ihrer Meinung eine bessere digitale Welt aus? Und wie kommen wir dort hin?

Beckedahl: Ich hoffe, dass es uns als Gesellschaft gelingt, alternative Plattformen zu stärken, die nicht nach diesen überwachungskapitalistischen Prinzipien funktionieren und die nicht in der Hand von einzelnen Personen sind. Wenn wir alle bei X, Facebook und Instagram bleiben, bleiben diese Plattformen eben auch mächtig. Wir sollten aber alternativen Plattformen eine Chance geben, um einen besseren Diskursraum für unsere Demokratie zu finden.

Es gibt zum Beispiel mit Bluesky einen Microblogging-Dienst, der besser als Twitter funktioniert. Oder Mastodon und das Fediverse: Das sind zarte Pflänzchen auf Open-Source-Basis, die übrigens auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk besser bespielen könnte. So würden diese Plattformen wertvoller werden, und man würde sich dort mehr aufhalten wollen.

Über dieses Thema berichten wir um 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.