Die Informationspolitik der Kölner Polizei wirft neue Fragezeichen auf. Am Mittwochabend (06.01.2016) verschickte sie eine Pressemitteilung mit dem Titel: "Übergriffe am Bahnhofsvorplatz - Vier Tatverdächtige identifiziert." Fünf Tage nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen klingt es wie eine erste Erfolgsnachricht. Die intensiven Ermittlungen der Polizei zu den massiven Übergriffen in der Silvesternacht am Bahnhofsvorplatz hätten konkrete Hinweise auf vier männliche Tatverdächtige geführt, teilte die Polizei mit.
Taschendiebe in U-Haft
Dass die Verdächtigen womöglich gar nichts mit den Vorfällen in der Silvesternacht zu tun haben, wird erst klar, wenn man die Pressemitteilung genau liest. Zwei der "aus Nordafrika" stammenden Männer hatte die Bundespolizei bereits in der Silvesternacht festgenommen. Allerdings werden ihnen Taschendiebstähle auf der nahe gelegenen Hohenzollernbrücke vorgeworfen. Ob sie auch sexuelle Übergriffe im und rund um den Hauptbahnhof begangen haben, ist völlig unklar.
Die beiden anderen hatte die Bundespolizei am vergangenen Sonntag, also zwei Tage nach der Silvesternacht, auf einem Bahnsteig im Hauptbahnhof gefasst. Sie sitzen in Untersuchungshaft, nachdem sie kurz zuvor einen Reisenden bestohlen haben sollen. Außerdem gebe es konkrete Hinweise, dass sie kurz vor dem Diebstahl mehrere Frauen angesprochen und bedrängt haben, hieß es. Aber auch hier ist noch unklar, ob sie auch für Taten in der Silvesternacht verantwortlich sind.
Fragwürdige Informationen am Neujahrsmorgen
Nach Polizeiangaben hatten sich am Silvesterabend etwa 1.000 Männer auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt, die zunächst Raketen abfeuerten und Böller in die Menge warfen. Als die Polizei die Menge noch vor dem Jahreswechsel auflöste, bildeten sich viele kleinere Gruppen. Danach sollen Frauen sexuell bedrängt und ausgeraubt worden sein. Inzwischen liegen mehr als 100 Anzeigen vor. Etwa drei Viertel der Anzeigen gehen auch auf sexuelle Übergriffe zurück. Nach Angaben von NRW-Innenminster Ralf Jäger (SPD) wurden bisher drei Verdächtige ermittelt, die direkt etwas mit den Übergriffen zu tun haben sollen. Sie seien aber nicht festgenommen worden.
Vor allem die Polizei sieht sich weiter heftiger Kritik ausgesetzt, weil sie zu spät auf die aggressive Menschenmenge vor dem Kölner Hauptbahnhof reagiert haben soll und erst zwei Tage nach den Übergriffen über die Vorfälle informierte. Am Neujahrsmorgen hatte sie noch erklärt, dass die Nacht recht entspannt verlaufen sei.
Ultimatum bis zum Ende der Woche
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) gibt der Polizei noch bis Ende der Woche Zeit, die Vorkommnisse in der Silvesternacht in einem Bericht darzulegen. Er forderte detaillierte Angaben darüber, welche Beamten zu welcher Zeit wo im Einsatz waren und wie viele Kräfte noch angefordert wurden. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet legte dem Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers indirekt den Rücktritt nahe. Deutliche Worte fanden auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der FDP-Bundes- und Landeschef Christian Lindner.
Auch der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, räumte am Donnerstag im WDR ein, dass der Einsatz diskussionswürdig sei. "Also wir müssen auch als Polizei diesen Einsatz kritisch hinterfragen", sagte er. Den Einsatz könne man nicht als gut bezeichnen, da hundert Strafanzeigen gefertigt und Frauen sexuell belästigt und angegriffen worden seien. Zugleich nahm er die Polizeibeamten aber in Schutz. So seien auch 71 Personalien festgestellt worden.
Die Polizei will ihre Ermittlungsgruppe auf 80 Personen aufstocken. Bei der Kölner Staatsanwaltschaft hat die Abteilung für Organisierte Kriminalität die Ermittlungen übernommen, da Absprachen für ein gemeinsames Vorgehen der Täter nicht ausgeschlossen werden.
Während der Ausschreitungen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof haben laut einem internen Bericht eines Beamten Frauen Schutz bei der Polizei gesucht. "Im Einsatzverlauf erschienen zahlreiche weinende und schockierte Frauen/Mädchen bei den eingesetzten Beamten und schilderten sex. Übergriffe durch mehrere männliche Migranten/-gruppen", schreibt der Leiter einer an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft in einem von der "Bild"-Zeitung veröffentlichten internen Erfahrungsbericht.
"Frauen mit Begleitung oder ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne 'Spießrutenlauf' durch die stark alkoholisierten Männermassen", heißt es in den Bericht weiter. Da die Polizisten "nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration". Der Polizist beklagt in dem Bericht eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter. Alle eingesetzten Polizisten seien "ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gekommen". Die Kölner Polizei wollte sich zunächst nicht zu dem Bericht äußern.
Tourismusbranche sieht Imageschaden
Derweil befürchtet die Kölner Tourimusbranche negative Folgen. "Das Image Kölns hat einen Knacks erlitten", sagte Köln-Tourismus-Geschäftsführer Josef Sommer dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Dem Bericht zufolge erreichen die Organisation, die weltweit für die Stadt werben soll, zahlreiche E-Mails und Anrufe besorgter Touristen und Reiseveranstalter. Immer wieder würden Stornierungen angedroht. Von einem langfristigen Schaden ging der Tourismus-Chef allerdings noch nicht aus: "Wir bauen darauf, dass die Behörden alles unternehmen, dass sich so etwas nicht wiederholt." Auch der Hotel- und Gaststättenverband Köln berichtet von einer großen Unsicherheit.