Viele Lehrkräfte melden gar nicht erst, wenn sie von Schülern beschimpft oder körperlich angegriffen werden – besonders an Gymnasien. Diese Erfahrung hat Sabine Mistler gemacht. Sie ist Landesvorsitzende des Philologenverbandes, in dem besonders viele Gymnasiallehrkräfte organisiert sind. "Ich denke, dass die Dunkelziffer sehr, sehr groß ist", so Sabine Mistler.
Der Respekt vor Autoritäten habe nachgelassen, es sei ein gesellschaftliches Problem, das nicht vor den Schultoren halt mache. Doch bei Nachfragen in Gymnasien heißt es, das Thema werde aufgebauscht und sei abhängig vom Standort.
Brennpunktschulen wollen nicht stigmatisiert werden
Genau das macht Julia Gajewski wütend. Es würden immer nur die Schulen in einem schwierigen Stadtteil offen darüber sprechen. "Ja, es stimmt, wir haben besondere Schwierigkeiten mit Kindern, die Corona nicht gut erlebt haben und wir versuchen, die zurück in die Gesellschaft und ins Schulleben zu holen", so die Schulleiterin der Gesamtschule Bockmühle in Essen. Mit zu großen Klassen und unbesetzten Lehrerstellen sei das aber schwer.
Gewalt kommt auch oft von außen
An der Realschule Bretzelnweg in Düren sprechen sie auch offen über diese Probleme. Der Umgang untereinander sei rauer geworden, sagt Schulleiter Georg Lauf. Es werde schneller geschubst und es komme zu Handgreiflichkeiten auf dem Schulhof. Aber noch mehr Sorgen macht dem Schulleiter, was sich nach Unterrichtsschluss auf dem Gelände abspielt.
Die Schule liegt in einem schwierigen Stadtteil von Düren. Istrefi Naim wohnt dort und hat seinen Sohn auf der Schule. Abends, so erzählt er, kämen viele Leute aus anderen Stadtteilen, um dort bis nachts laut zu grillen, zu trinken, zu rauchen. Die Schule selbst kann das nicht verhindern. Bislang gibt es dort weder Zaun noch einen Sicherheitsdienst oder Videoüberwachung.
Straftaten an Schulen nehmen zu
Letztes Jahr ist die Gewalt an Schulen landesweit im Vergleich zum Vor-Pandemiejahr 2019 um 22 Prozent gestiegen, so das NRW-Innenministerium. Die meisten Delikte sind Diebstähle, Raub, Erpressung und Körperverletzung. Und 193 Angriffe mit Stichwaffen an Schulen registrierte die Polizei im letzten Jahr. Das Problem: Schulen dürfen erst nach Beschluss der Schulkonferenz und mit Einwilligung der Eltern Taschenkontrollen durchführen.
Überforderte Eltern setzen Schulen unter Druck
Vor zusätzlicher Konfrontation mit den Familien scheuen sich aber die meisten Schulen. Denn Eltern würden zunehmend die Erziehungsaufgaben an die Lehrkräfte abgeben und erwarten, dass die Schule durchgreift, so Sabine Mistler vom Philologenverband. Aber wenn genau das dann geschehe, kämen die Eltern mit Drohungen auf die Lehrkräfte zu, verklagten sie sogar. Die Essener Schulleiterin bekommt regelmäßig Mails mit Beschwerden und Beschimpfungen von Eltern. Eine Grundschullehrerin berichtet dem WDR anonym, wie ein Vater ihr drohte mit dem Spruch: "Sie wissen schon, dass ich im Gefängnis war."
Schulen brauchen mehr Unterstützung
Vom NRW-Schulministerium haben die Schulen jetzt einen neuen Notfallordner für Krisen bekommen. Mehrere hundert Seiten stark. Der allein wird nicht helfen. Viele Lehrkräfte würden den Fehler erstmal bei sich suchen, wenn sie von Schülern angegriffen werden, so die Landeschefin des Philologenverbandes. Denn bislang müssten sie persönlich Strafanzeige erstatten. Und das sei ziemlich kompliziert und zeitaufwendig. Also machen es viele erst gar nicht und die Dunkelziffer bei Gewalt an Schulen bleibt entsprechend hoch.
Über das Thema berichtet der WDR in am 18.06.2023 in Westpol im WDR Fernsehen.