Eigentlich, so könnte man meinen, freut sich die CDU in NRW jetzt ein Loch in den Bauch: Mit Friedrich Merz (67) und Carsten Linnemann (45) kommen nun Parteichef und Generalsekretär aus dem mitgliederstärksten Landesverband. Zwar ist aus der Partei Zustimmung zu vernehmen, vor allem, weil der Ost-Berliner Mario Czaja auf dem Posten offenbar niemanden überzeugen konnte. Der Paderborner Linnemann aber, so ist zu hören, sei dem Sauerländer Merz sehr ähnlich. Zwei Repräsentanten des Wirtschaftsflügels, im Auftreten und Denken durchaus verwandt, das ist nach Meinung vieler Chance und Risiko zugleich.
Keine Profilverbreiterung: Linnemann und Merz sind sich ähnlich
Linnemann als Generalsekretär stärkt zwar den Wirtschaftsflügel der Partei. "Die Union signalisiert damit, dass sie künftig stärker auf die Themen Wirtschaft und Finanzen setzt", sagt etwa Partei-Urgestein Wolfgang Bosbach aus Bergisch Gladbach. Als "genau den richtigen Typen zur richtigen Zeit", bezeichnet JU-Chef Johannes Winkel Linnemann. Er sei ein "programmatischer Kopf, der eine klare Sprache spricht." Doch auf dem Sozialflügel der CDU sorgt man sich, dass mit der Wahl Linnemanns eine inhaltliche Verengung der Partei einhergehen könnte.
Denn nach überwiegender Auffassung ist Linnemann so etwas wie das Alter Ego von Friedrich Merz. "Für Merz ist die Wahl von Linnemann eine Profilvertiefung, aber keine Profilverbreiterung“, sagt ein führender Christdemokrat aus NRW. "Wer stärkt das soziale Profil der Union?“, fragt ein anderer.
Inflation und Rente mit 67: Linnemann setzt direkt sozialpolitische Akzente
Wirtschaftsmann Linnemann setzte in seiner ersten Pressekonferenz dann auch prompt sozialpolitische Akzente. "Die Inflation trifft die kleinen Leute in diesem Land", sagte er. Er sprach vom Dachdecker, der nicht bis 65 oder 67 arbeiten könne. Die CDU müsse den Menschen "Orientierung und Haltung geben, die sie von der Bundesregierung nicht bekommen". Der Chef des NRW-Sozialflügels CDA, Dennis Radtke, sieht das ähnlich: "In den letzten zehn Jahren hat in der CDU die Antenne für soziale Realitäten einen Knick bekommen." Und weiter: "Als Volkspartei müssen wir die ganze Bandbreite bespielen. Kleine und mittlere Einkommen sind die großen Verlierer der Regierung Scholz."
Auch ließ Linnemann durchblicken, was er anders machen wird als sein Vorgänger: Er will "mit Generalsekretären der Länder sofort ins Gespräch kommen“, also die Partei in ihrer Breite einbinden. Nach seiner Ansicht geht es jetzt vor allem um die Kampagnenfähigkeit der Union. Genau hier dürfte einer der Gründe liegen, warum Czaja gehen musste. Linnemann, der seit anderthalb Jahren den Grundsatz-Prozess der CDU organisiert, gilt als gut vernetzt und in allen Themen bewandert.
Merz zur Herkunft: "Halbes Saarland einst am Kabinettstisch"
Merz erhöht mit dieser überraschenden Personalie den Einsatz im Kampf um die politische Führerschaft in der Republik. Will er Kanzler werden, muss sich Linnemann als Glücksgriff erweisen. Sonst dürfte es eng werden. Einen weiteren Fehlgriff bei der Auswahl des Generalsekretärs könne er sich nicht erlauben, heißt es.
Dass mit ihm und Linnemann nun zwei Männer aus NRW die Partei führen, ist für Merz kein Problem. Lange sei NRW dort unterrepräsentiert gewesen, sagte er nach der Sitzung des Bundesvorstandes. Außerdem habe mal "das halbe Saarland" am Kabinettstisch gesessen. "Für mich hat die Frage der Herkunft keine Rolle gespielt", so Merz. Und Wolfgang Bosbach springt ihm bei: Die Partei "sollte möglichst regional ausgewogen sein, aber aktuell ist es wichtiger, unser Profil zu schärfen, als auf Proporz zu achten."
Klare Kante auch für den Osten
"Carsten hat immer klare Kante gesprochen, auch bei kritischen Themen wie der Unterstützung Griechenlands in der Euro-Krise oder der Rente mit 63", erinnert sich der Landtagsabgeordnete Bernhard Hoppe-Biermeyer, wie Linnemann aus dem Kreisverband Paderborn. Er hält Linnemann für das "größte politische Talent, das wir in Deutschland haben" und sagt: "Mit seiner klaren Art kommt er auch im Osten gut an."
Im nächsten Jahr stehen im Osten mehrere wichtige Landtagswahlen an, in Umfragen liegt die AfD in einigen Bundesländern aktuell vor der CDU. Die Union wird nun auf absehbare Zeit mit einem schwer aufzulösenden Widerspruch leben müssen: Im Westen, mit den Grünen, muss sie eine andere Politik machen als im Osten, wo ihr der heiße Atem der AfD im Nacken sitzt. Ein Spagat, den Merz Linnemann offenbar zutraut.
Die leidige K-Frage
Dann ist da noch die leidige K-Frage. Im Spätsommer nächsten Jahres, so betonte Merz am Dienstag im Bundesvorstand, soll entschieden werden. Dass Merz selbst die Kandidatur will, gilt in Unionskreisen als ausgemachte Sache. Auch wenn jüngst vor allem NRW-Ministerpräsident Wüst durch öffentliche Auftritte den Eindruck erweckt hatte, er hielte sich für den besseren Kandidaten.
"Für Wüst werden die Abläufe mit Linnemann in Berlin nun noch einfacher", sagt CDU-Mann Hoppe-Biermeyer. Auch Wolfgang Bosbach sieht Vorteile für den Münsterländer, dessen Landesverband weiter gestärkt werde. Das Verhältnis von Wüst und Linnemann gilt als gut, auch der Ministerpräsident kommt vom Wirtschaftsflügel der Partei.
Linnemann selbst galt sogar bei der letzten Wahl zum Parteichef manchen selbst als aussichtreicher Kandidat auf den Chefposten. Allein: Es fehlte seine Bewerbung. Sollte es doch noch ein offenes Rennen um die Kanzlerkandidatur geben, könnte aber neben Merz, Wüst und dem schleswig-holsteinischen Regierungschef Daniel Günther plötzlich noch ein weiterer Anwärter auftauchen: Carsten Linnemann aus Paderborn.