WDR: Die grüne Seele - eingeklemmt zwischen Ideal und Kompromiss. Sie kennen das wahrscheinlich sehr gut. Kommt das alles jetzt noch einmal hoch?
Bärbel Höhn: Ja, das ist natürlich ein Déjà-vu. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass wir zu ganz unterschiedlichen Zeiten agiert haben. Vor 25 Jahren, da ging es um den Tagebau Garzweiler II. Da hat die Klimapolitik praktisch noch gar keine Rolle gespielt. Es gab bestimmte Kirchengemeinden oder auch bestimmte Anwohner, die auf unserer Seite waren. Aber sonst standen wir ganz allein. Das ist eine ganz andere Situation als die, die wir jetzt haben, wo ein großer Teil der Bevölkerung mittlerweile sieht, dass wir etwas tun müssen, um die Klimakrise zu überwinden.
Bärbel Höhn (Jahrgang 1952) ist seit 1985 Mitglied der Grünen, zog 1990 erstmals in den Düsseldorfer Landtag ein. Von 1995 bis 2005 war sie NRW-Umweltministerin und damit an den Beschlüssen zum Ausbau des Braunkohleabbau Garzweiler II beteiligt.
WDR: Finden Sie das gut oder ein Stück weit auch beängstigend?
Höhn: Ich finde gut, dass wir jetzt eine große Unterstützung in der Bevölkerung haben. Das ist ja entscheidend. Wie wollen wir von der Politik her agieren, wenn wir das gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung tun? Insofern haben wir auch damals den Kampf gegen Garzweiler II genutzt, um in der Öffentlichkeit zu werben. Und das braucht immer wahnsinnig viel Zeit - aus meiner Sicht jetzt im Nachhinein zu viel Zeit. Denn wenn wir damals schon die Erkenntnisse gehabt hätten, dann hätten wir für den Transformationsprozess, den wir jetzt in der Gesellschaft vollziehen müssen, 25 Jahre mehr gehabt. Und das ist ein ganz großer Unterschied gegenüber den zehn oder 15 Jahren, die uns jetzt noch bleiben.
WDR: Sie sind nicht nach Lützerath gegangen, aber haben die Situation natürlich genau beobachtet. Wie hat sich der Aktivismus aus Ihrer Sicht geändert?
Höhn: Als ich jung war, da gab es den Kampf gegen die Atomkraftwerke. Das war auch ziviler Ungehorsam, natürlich gewaltfrei. Aber vom Grundsatz her waren das schon ähnliche Auseinandersetzungen, auch um bestimmte Standorte. Man kann die "Symbol" nennen oder auch nicht, aber man gewinnt natürlich in diesen Kämpfen nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Bevölkerung, wenn man das an bestimmten konkreten Projekten macht.
WDR: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagt, es brauche Symbole in der Umweltbewegung, Lützerath wäre aber keines. Stimmen Sie ihm zu?
Höhn: Nein. Alle, die in der außerparlamentarischen Opposition schon mal für ihre Ziele gekämpft haben, wissen natürlich, dass es ein Symbol ist. Eindeutig.
WDR: Und Robert Habeck weiß das auch?
Höhn: Ich denke mal, er weiß es auch. Aber das tut natürlich ein Stück weh, wenn man selber in der Regierung ist und so viel geschafft hat. Alle anderen Parteien haben viel mehr dazu beigetragen, dass Lützerath jetzt abgebaggert wird als gerade wir. Wir haben uns ja immer gegen diesen Tagebau gesperrt. Insofern verstehe ich, wenn man das ein bisschen als ungerecht empfindet, dass der große Erfolg, der erreicht worden ist, so wenig erwähnt wird, dafür aber das, was man nicht erreicht hat.
Aber ganz entscheidend ist auch die Kommunikation, dass etwa deutlich wird: Wir erkennen an, dass es diese außerparlamentarische Bewegung geben muss und dass sie Druck machen muss. Ich habe mich als Ministerin im Kabinett eigentlich immer so stark gefühlt, wie ich auch Druck von der Straße hatte. Wenn da nichts ist, werden die anderen im Kabinett sagen: "Hallo, warum sollen wir dir denn folgen?" Also das bedingt einander. Und das müssen wir lernen.
WDR: Grüne Spitzenpolitiker müssen also auch den Druck erzeugen können, also provozieren können?
Höhn: Ich finde gut, dass es grüne Abgeordnete gegeben hat aus dem Europaparlament, aus dem Bundestag, die ein Stück auch Vermittlung machen können. Jetzt sieht's ja erst aus wie ein ganz, ganz großer Scherbenhaufen und eine totale Wut auf die Grünen - was ich wirklich nicht verstehen kann. Wenn irgendjemand sagt, jetzt wähle ich ja lieber die SPD, muss ich sagen: Hallo, guck dir mal die Geschichte an!
Ich finde wichtig, dass wir das jetzt wirklich aufarbeiten, dass wir wieder zusammenstehen und gemeinsam das Ziel angehen: die Überwindung der Klimakrise. Und dass wir uns nicht gegenseitig bekämpfen. Das würde in der Sache würde natürlich nicht nach vorne führen.
Das Interview führte Edda Dammmüller im WDR 5 Westblick (19.01.2023). Die Lesefassung wurde redaktionell bearbeitet.