Als die etwa 50 Traktoren laut hupend vorfahren und die Straße vor der NRW-SPD-Zentrale in der Kavalleriestraße versperren, ist es statt fünf vor zwölf fast halb eins. Dabei hatten die Bauern und Bäuerinnen für ihre Kundgebung symbolträchtig das Motto ausgegeben: "Es ist 5 vor 12! Die Bundesregierung stellt die heimische Landwirtschaft und den Gartenbau ins Abseits".
Aber viele Traktoren aus Neuss standen im Stau, wurden von der Polizei kontrolliert und kamen deshalb zu spät zu den Protesten vor den Parteizentralen von SPD, FDP und Grünen. Ein Symbol für die Landwirtschaft in NRW? Nein, die meisten der protestierenden Landwirte glauben daran, ihre Branche sei noch zu retten - und fordern dafür auf Plakaten "Finger weg vom Agrardiesel!" oder das Ende des "Ampel-Irrsinns", manche wünschen sich ganz offen "Neuwahlen".
Pickup mit Galgen auf der Ladefläche
Größtenteils laufen die Demos an diesem Mittwoch gesittet ab. Als vor der Parteizentrale der Grünen ein Pickup mit einem Galgen auf der Ladefläche vorfährt, distanzieren sich die Bauern sofort, die Polizei verhängt einen Platzverweis. Vor der SPD-Zentrale gibt es Kaffee und Brötchen für die Bauern, die ihrerseits eine Resolution an die Parteivorsitzenden übergeben und sich danach mit SPD-Generelsekretär Frederick Cordes zusammensetzen.
CDU-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen steht unterdessen mit Vertretern der Landwirtschaftsverbände vor dem Landtag, lobt die "friedlichen und demokratischen Demos" in dieser Woche und solidarisiert sich erneut mit den Landwirten. Vor der CDU-Zentrale wird nicht demonstriert, der Frust der Bauern richtet sich ausschließlich gegen die Ampelpolitik im Bund. Nach zwei Jahren Ampel sei "keine Perspektive für unsere top ausgebildete Jugend mehr vorhanden", sagt Bernhard Conzen vom Rheinischen Landwirtschafts-Verband (RLV). Es gebe "immer mehr Verbote und Bürokratie", man stünde "mit dem Rücken zur Wand". Die Bundesregierung könne sich am Montag bei der Großdemo in Berlin auf einiges einstellen: "Sowas hat Berlin noch nicht erlebt, die Bauern sind scharf gekämmt!"
CDU führte lange Ministerien - wird aber von Protesten verschont
Sie würden auch gegen die CDU demonstrieren, wenn diese die Agrardiesel-Subventionen abschaffen wollen würden, sagen einige Bauern dem Reporter am Rande der Demo auf Nachfrage. Mehr Kritik gibt es nicht - was insofern überrascht, als die CDU das NRW-Landwirtschaftsministerium von 2005-2010 (Eckhard Uhlenberg) und seit 2017 (Christina Schulze Föcking, Ursula Heinen-Esser, Silke Gorißen) führt. Noch deutlicher ist die schwarze Handschrift im Bund: Von 1983 bis 2021 wurde das Landwirtschaftsministerium insgesamt 31 Jahre lang von CDU-/CSU-Ministern angeführt, nur unterbrochen von 1998 bis 2005 in den Amtszeiten von Kanzler Gerhard Schröder (SPD).
Dass seit Jahrzehnten immer mehr Familienbetriebe aufgeben müssen und Großbetriebe entstehen? Es ist ein Argument, das viele Bauern und Bäuerinnen in diesen Tagen oft vorbringen. Eine Entwicklung, die sich unter der Ampelkoalition im Bund fortsetzt, aber lange davor auch unter CDU-Führung eingesetzt hat. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen sieht den Streit um den Agrardiesel als "Metapher für die Unzufriedenheit der letzten Jahrzehnte der Landwirtschaftspolitik in Deutschland und Europa".
Ministerpräsident Wüst fordert "Agrar-Allianz"
70 Prozent der Bevölkerung unterstützen bisher die Bauernproteste laut Umfragen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hält Bauern für "fleißige und bodenständige Leute", die bundesweit beliebt seien: "Viele Landwirte haben die Kürzungspläne der Ampel als letzten Sargnagel für die bäuerliche Landwirtschaft empfunden. Aus ihrer Sicht ist es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Statt den Austausch zu suchen, hat die Ampel ihre Beschlüsse einem ganzen Berufsstand einfach vor den Latz geknallt."
Deshalb fordert Wüst nun, alle Akteure an einen Tisch zu setzen. Landwirtschaft, Einzelhandel, Umweltverbände und Politik sollen eine "Agrar-Allianz" schmieden: "Wir sollten einen Gesellschaftsvertrag für die heimische Landwirtschaft schließen. So wie es bei der Kohle-Kommission schon einmal gelungen ist. Unter der Koordinierung des Bundes müssen alle Akteure an einen Tisch. Aus der gesellschaftlichen Mitte heraus kann die Agrar-Allianz sowohl für Befriedung sorgen als auch Chancen für die heimische Landwirtschaft aufzeigen.“
Ampel-Koalition in schwieriger Verhandlungsposition
Pläne, die bei den Landwirten gut ankommen. Er sei "ganz d´accord" mit Wüst, sagt RLV-Präsident Bernhard Conzen. NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen lobt Wüsts Vorstoß und meint: "Die Bevölkerung steht so breit hinter den Protesten, um der Ampel den Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, wir wollen mitgenommen werden. Man kann Politik nicht vom grünen Tisch aus machen, sondern muss wissen, wozu Entscheidungen führen können. Wenn man das nicht vor Augen hat, hat man jede Bodenhaftung verloren."
Nachgeben wollen die Landwirte erst, wenn neben der Kfz-Steuer auch die Einsparpläne beim Agrardiesel gekippt werden. Mit ihren ruckartigen Sparplänen und der schrittweisen Rücknahme der Vorschläge, hat sich die Ampel-Koalition aber in eine schwierige Verhandlungsposition gebracht - und der CDU die Chance eröffnet, sich ungeachtet aller eigenen Verantwortung politisch zu profitieren.