Es ist das Herzstück der Kraftwerksstrategie, die die Bundesregierung Anfang Februar vorgelegt hat: Bis 2030 sollen neue Gaskraftwerke mit einer Leistung von 10 Gigawatt gebaut werden. Doch die haben Nachteile: Sie sind erstens teuer. Sie verfeuern zweitens noch auf viele Jahre fossiles Erdgas und stoßen so klimaschädliches CO2 aus. Und drittens dauert ihr Bau lange.
Dabei gäbe es eine Alternative: Biogas. Nach Berechnungen der Branche könnten die rund 10.000 deutschen Biogasanlagen die neuen Erdgas-Kraftwerke überflüssig machen. "Allein bis 2030 können bis zu 12 Gigawatt flexibler Leistung aus Biogas zur Verfügung stehen - langfristig sogar doppelt so viel", sagt Horst Seide, Präsident des Fachverbands Biogas.
Doch die zuständigen Grünen-Energieminister in Bund und Land wollen davon derzeit kaum etwas wissen - sie setzen stattdessen auf die zusätzlichen Großkraftwerke.
Strom aus Gas soll Dunkelflauten überbrücken
"Wir könnten aus dem Stand, mit der Installation von zusätzlichen Motoren, einfach die Dunkelflaute helfen zu vermeiden", erläutert Biogas-Landwirt Rainer von Meer aus Euskirchen. Damit spricht er den neuralgischen Punkt der künftigen Stromversorgung an: Bis 2030 soll 80 Prozent der Elektrizität erneuerbar erzeugt werden, vor allem durch Windräder und Solarzellen. Die geplanten neuen Gaskraftwerke sollen immer dann einspringen, wenn nicht genug Wind weht und nicht ausreichend Sonne scheint. Auch Biogasanlagen können das, wenn man sie entsprechend umrüstet - dazu braucht es neben den zusätzlichen Motoren lediglich noch Gasspeicher.
Genau diese Umrüstung aber ist bislang die große Ausnahme - nur rund zwei Prozent der Anlagen in Deutschland haben sie. Deshalb produzieren derzeit tausende Biogasanlagen in Deutschland rund um die Uhr die immer gleiche Menge Strom - egal, ob der gerade dringend gebraucht wird oder vollkommen überflüssig wäre.
Gas speichern und dann gezielt verstromen
Landwirt von Meer ist einer der wenigen, der sein kleines Kraftwerk flexibel fährt. Er speichert das Biogas - und verstromt es dann, wenn der Bedarf groß ist. "Wir haben statt einem Motor vier Motoren installiert. Wir können in einem Viertel der Zeit mit der vierfachen Leistung den Strom ins Netz abgeben", erklärt er.
Wenn das tausende seiner Berufskollegen auch könnten, bräuchte es die neuen, fossilen Großkraftwerke nicht, so die Idee. Experten schätzen, dass die nötige Umrüstung eines Hofs lediglich ein bis zwei Jahre dauert - und damit wesentlich kürzer als der Neubau der Gaskraftwerke, für den sechs Jahre veranschlagt werden. Die milliardenschwere Förderung, mit denen die Großkraftwerke gebaut werden sollen - sie könnte die Flexibilisierung der Biogasanlagen finanzieren. So fordert es die Ökostrom-Branche.
Sorgen vor "Vermaisung" der Felder
Doch die Politik hat Bedenken. NRW-Energieministerin Mona Neubaur (Grüne) befürchtet, dass mehr flexible Verstromung von Biogas dazu führen würde, "dass wir flächendeckend Energiepflanzen anbauen". Neubaur erwartet, dass Landwirte dann weniger Lebensmittel produzieren würden.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte vor wenigen Wochen die Sorge, dass der für Biogas besonders lukrative Mais andere Pflanzen auf den Feldern verdrängen könnte, ähnlich wie beim Biogas-Boom vor gut 15 Jahren.
Dem widerspricht die Branche: Es brauche gar nicht mehr Biomasse aus Pflanzen und Gülle als heute. Sondern lediglich die Möglichkeit, die Verstromung flexibel zu steuern.
Das bestätigt Professor Jürgen Karl, Inhaber des Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Wir bräuchten keinesfalls zusätzliche Anbauflächen", insistiert er. Eine Flexibilisierung über Speicher und mehr Motorleistung reiche völlig aus. "Es ist einfach so, dass das existierende Biogas, das heute schon produziert wird, genutzt werden könnte, um die Stromlücken zu füllen", so Karl.