AWO und Co. kämpfen um freie Wohlfahrtspflege: OGS Bochum Aktuelle Stunde 19.10.2023 UT Verfügbar bis 19.10.2025 WDR Von Michael Hoverath

Demo der Wohlfahrtsverbände mit 22.000 Menschen vor dem Landtag

Stand: 19.10.2023, 15:51 Uhr

Friedlich, bunt und unüberhörbar war eine der größten Demos vor dem Landtag in Düsseldorf. Es ging um die Lage in Kitas, im Offenen Ganztag, der Pflege und weiteren Sozialangeboten.

Von Christoph UllrichSabine Tenta

Die Startzeit war symbolisch: Um 11.55 Uhr, also fünf vor Zwölf, fing die Kundgebung vor dem Landtag an. Da drängelten sich schon Tausende vor dem weitläufigen Platz vor dem Parlamentsgebäude. Die Polizei legte die Bannmeile großzügig aus, um Platz für die friedliche Menschenmasse zu schaffen. Gruppen aus dem ganzen Land strömten auf den Platz, die Polizei sprach von 22.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Wohlfahrtsverbände gar von 25.000. Damit ist es eine der größten Demonstrationen vor dem Landtag der vergangenen Jahrzehnte.

Demo als letzter Hilferuf

"Wir haben Besseres zu tun, als zu demonstrieren - aber was sollen wir tun?", fragte auf der Kundgebung Christian Woltering, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW. "Unzählige Briefe, Gespräche vor und hinter den Kulissen - doch all unsere Hilferufe verhallen." Es sei Zeit, der Politik klarzumachen, dass das "schleichende Sterben der sozialen Infrastruktur in NRW" bereits begonnen habe. "Wenn jetzt nicht gehandelt wird, gibt es bald nichts mehr zu retten!“

Jochen Ott: "Das muss ein Weckruf sein"

Der Oppositionsführer im NRW-Landtag, Jochen Ott (SPD), sagte dem WDR am Rande der Demo: "Die Leute haben die Schnauze voll, weil es so nicht mehr weitergeht." Die Menge der Menschen auf dieser Demonstration, "das muss ein Weckruf sein", sagte Ott. Das werde nicht mehr lange gut gehen, prophezeite er. Jetzt müssten die Strukturen neu aufgesetzt und ein Rettungspaket geschnürt werden, forderte der Sozialdemokrat. Anders könne man die Fachkräfte der Zukunft nicht gewinnen. "Wüst kann gerne anrufen, ich bin bereit zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung", sagte er an den NRW-Ministerpräsidenten gerichtet.

Grüne stellen schwarze Null in frage

Unter denen, die auf dem Podium sprachen, war auch die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Verena Schäffer. Sie sprach bei den Ausgaben für das Sozialsystem von einem Tischtuch: "Wenn wir an der einen Stelle ziehen, dann fehlt es an der anderen." Sie forderte, über Umverteilung zu reden. Eine "starke soziale Infrastruktur" sei "wichtiger als die schwarze Null". Die Demonstration nehme sie als Rückenwind mit, um diese Position durchzusetzen.

Stimmen von CDU, FDP und AfD zur Demonstration

Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Thorsten Schick, betonte im WDR, dass auch andere Verantwortung übernehmen müssten, er nannte "Bund und Kommunen". Marcel Hafke, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, war sichtlich beeindruckt von der Demo: "Die Hütte brennt!" Das sollte die Regierung nicht kaltlassen, meinte er, "Chefsache, würde ich sagen". Die Regierung aus CDU und Grünen müsse "die Prioritäten jetzt anders legen", schlug Hafke vor. Andreas Keith von der AfD sagte: "Ich habe noch nie so viele Leute vor dem Landtag hier demonstrieren sehen." Es sei genug Geld da, es werde nur falsch ausgegeben. Er schlug vor, "beim Gendern, bei der Diversität, beim Krieg in der Ukraine" zu sparen.

Ein ganzes System unter Druck

Während draußen demonstriert wurde, ging es drinnen im Landtag um den Landeshaushalt für das kommende Jahr. Externe Sachverständige hatten im zuständigen Ausschuss das Wort, während Erzieherinnen, Sozialarbeiter oder Pflegerinnen mit ihren Plakaten und Wortbeiträgen zeigten: Das System der Wohlfahrtspflege steht unter Druck.

Gemeint sind damit zum Beispiel Kitas. Ihre Lage ist laut den privaten Trägern prekär. Bis zu 100.000 Plätze sollen fehlen, beim Personal sollen es Zehntausende sein. Das Land hatte deshalb zugesagt, eine Überbrückungshilfe von 100 Millionen Euro in den Haushalt zu schreiben und versprochen, die Erhöhung von Pauschalen vorzuziehen.

Lücken kaum noch auszugleichen

Von einem wichtigen Signal sprechen deshalb einige Verbände - aber auch davon, dass sich an dem grundsätzlichen Problem nichts ändere. Das sagt zum Beispiel Sabine Pott von der Evangelischen Kirche im Rheinland. Finanzierungen bei den Kitas würden erst immer anderthalb Jahre später angepasst und die Kita-Träger müssten daher regelmäßig Finanzierungslücken ausgleichen.

"Die Problematik der zeitlichen Verzögerung verschärft sich drastisch durch die derzeitige Inflation und die gestiegenen Personalkosten", so Pott. Sie spricht für die 1.750 evangelischen Kitas in NRW, denen aktuell 125 Millionen Euro fehlen würden.

Die Gewerkschaft Verdi hatte unter anderem deshalb am Donnerstag noch zu zusätzlichen Kita-Mahnwachen vor der Staatskanzlei aufgerufen. Und es gab in mehreren Orten in NRW weitere lokale Proteste, unter anderem in Soest, Münster und Dortmund.

Bei der Demo auf der Wiese vor dem Landtag ging es aber nicht nur um die Kitas, sondern auch um den Offenen Ganztag, die Pflege und auch Präventionsangebote. Ein ganzes Sozialsystem stehe unter Druck, hieß es. "NRW bleib sozial!" war daher das Motto der Kampagne.