Studie: Fast jeder fünfte Jugendliche in NRW ist sehr einsam

Stand: 24.11.2023, 12:30 Uhr

Ministerpräsident Wüst (CDU) präsentiert eine Studie zu Einsamkeit unteren jüngeren Menschen. Sie liefert erstmals Zahlen für NRW: Etwa drei Viertel waren schon einmal einsam.

Von Martina Koch und Maria Bravo

Bei Johannes Stertenbrink fing es früh an. Schon in der Grundschule sei er ausgegrenzt worden. Seitdem habe er Probleme Freundschaften zu schließen. Jetzt ist er 25 und arbeitet als Forstwirt in Erkrath.

Forstwirt Johannes Stertenbrink | Bildquelle: wdr

Seine Arbeit hilft ihm gegen die Einsamkeit. "In den letzten fünf Wochen hatte ich keinen freien Tag, weil ich mich so in die Arbeit gestürzt habe. Weil ich nicht darüber nachdenken wollte", erzählt Johannes, "denn wenn ich zu viel Zeit habe zum Nachdenken, kommen auch negative Gedanken auf".

Erstmals Studie zu Einsamkeit bei 16-20-Jährigen

Wie vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen es in NRW ähnlich geht wie Johannes, war bisher nicht bekannt. Prof. Maike Luhmann, die an der Ruhruniversität in Bochum seit mehr als 10 Jahren zur Einsamkeit forscht, hat dies jetzt zum ersten Mal im Auftrag der schwarz-grünen Landesregierung untersucht.

Für die Studie wurden zum einen knapp 1000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 20 Jahren online befragt sowie eine Stichprobe mit mehr als 1200 Achtklässlern ausgewertet. Demnach fühlen sich ältere Jugendliche und junge Erwachsene mit 18,5 Prozent deutlich einsamer als die jüngeren mit 11 Prozent. Zusammen mit denen, die sich nur ab und an einsam fühlen sind es bei den älteren 78 Prozent und bei den jüngeren Jugendlichen 86 Prozent.

Ergebnisse sind Auftrag an die Landesregierung

Die Zahlen, die Prof. Luhmann erhoben hat, deuten außerdem darauf hin, dass heute mehr Jugendliche einsam sind als noch vor der Corona-Pandemie. "Aus starker Einsamkeit kommen viele nicht mehr alleine heraus, und deshalb besorgt mich der gestiegene Anteil der stark Einsamen unter den älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen", sagt Luhmann zu den Studienergebnissen.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) will das Thema aus der Tabuzone holen. Bei der Präsentation der Studie heute in Berlin erklärte er: "Einsamkeit ist die neue soziale Frage unserer Zeit. Sie wirkt sich nicht nur auf das Leben der Betroffenen negativ aus. Einsamkeit fordert auch unser Gesundheits- und Sozialsystem heraus und schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt."

Was tun gegen Einsamkeit?

Was tun gegen Einsamkeit? WDR RheinBlick 23.12.2022 29:32 Min. Verfügbar bis 21.12.2028 WDR Online

Wie politisch ist die Einsamkeit? Was können Gesellschaft und Politik tun, damit sich weniger Menschen einsam fühlen? Daniela Junghans diskutiert mit Wolfgang Meyer und Torsten Reschke über die Menschen in NRW, die ungewollt allein sind, denen soziale Kontakte fehlen, die vereinsamen.


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Besonders gefährdet, sich zu isolieren, sind laut der Studie arbeitslose junge Menschen. Studienautorin Maike Luhmann und ihr Team raten der Politik zu einer Aufklärungskampagne und dazu, spezielle Freizeitangebote und Aufenthaltsorte zu schaffen. Außerdem müssten die Jüngeren dort angesprochen werden, wo sie sind, in der Schule und im Internet.

Ministerpräsident Wüst hatte sich im Sommer 2023 in Japan angesehen, mit welchen Projekten dort Menschen aus der Einsamkeit geholt werden sollen. In Japan ist Einsamkeit noch verbreiteter, es gibt sogar ein Einsamkeitsministerium.

Die Staatskanzlei in NRW hat jetzt eine Stabstelle Einsamkeit mit zwei Mitarbeitenden eingerichtet. Im kommenden Jahr plant die Landesregierung eine Einsamkeitskonferenz und will ihre Maßnahmen in einem Aktionsplan bündeln. Mehr Geld für Jugendzentren und neue Aufenthaltsorte sind allerdings bisher nicht vorgesehen.

Begegnungsorte für junge Erwachsene fehlen

Der Verein „FAIR.STÄRKEN“ in Köln engagiert sich für Kinder und Jugendliche aus sozialbenachteiligten Lebenslagen. Leiterin Mechthild Böllk hat auch festgestellt, dass die Pandemie viel verändert habe. Die Kinder und Jugendliche würden viel mehr Zeit zu Hause mit dem Handy verbringen als früher. Außerdem seien besonders Mädchen ängstlicher geworden.

Die Jugendzentren seien tolle Orte, aber sie richten sich vor allem an Minderjährige und es gäbe insgesamt zu wenige, so Mechthild Böll. Man bräuchte in jedem Stadtteil einen Ort, wo Jugendliche und auch junge Erwachsene sich treffen können, ohne dafür bezahlen zu müssen.

So etwas wünscht sich auch Johannes Stertenbrink. Statt auszugehen, sitzt er Freitagabends oft alleine und einsam am Bach im Wald. Er möchte nicht viel Geld ausgeben müssen, um andere Leute zu treffen.

Studie zu Einsamkeit bei Jugendlichen Aktuelle Stunde 24.11.2023 UT Verfügbar bis 24.11.2025 WDR Von Paphael Markert

Über das Thema berichten wir am 24.11.2023 u.a. in der Aktuellen Stunde und am 26.11.2023 in Westpol im WDR Fernsehen.