Eigentlich kann es kaum besser für Martin Vincentz laufen: Der 38-Jährige hat es geschafft, zu einem der moderaten Gesichter der AfD zu werden. Strategisch dürften ihm die von Skandalen getriebenen Wochen vor der Europawahl genützt haben. Die radikalen Kräfte in der Partei sind auf dem Rückzug.
So fiel die Kommunalwahl in Thüringen, dem Stammland des dortigen rechtsextremen Landeschefs Björn Höcke, eher ernüchternd aus: Die CDU und nicht die AfD wurde stärkste Kraft. Zudem entpuppte sich die Kandidatenliste zur Europawahl als hochproblematisch, nicht nur wegen des Spitzenkandidatens Maximilian Krah. Auch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster, wonach die Partei als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden darf, spielt dem NRW-Landeschef in die Karten.
Hartes Vorgehen gegen die "Junge Alternative"
Schon länger versucht Vincentz, sich deutlich von den rechtsextremen Kräften in der Partei abzugrenzen. Das bekommt vor allem das Umfeld der Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" zu spüren. Diese gilt dem Bundesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextreme Bestrebung", auch wegen ihrer Nähe zur selbsterklärten, rechtsextremen Identitären Bewegung. Vor allem gegen JA-Leute wird in NRW inzwischen parteiintern hart vorgegangen.
Mit Nils Hartwig wurde ein Spitzenfunktionär der NRW-JA ausgeschlossen. Gegen Elia Sievers, Beisitzer im Landesvorstand der JA, wurde jetzt ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Er soll sich an einer Debatte beteiligt haben, in welcher die Abschiebung der Ehefrau eines bayerischen AfD-Funktionärs gefordert wurde. Sie ist Jesidin und hat die deutsche Staatsangehörigkeit.
Auf X (vormals Twitter) soll Sievers im vergangenen November geschrieben haben, die Frau sei "genau so wenig Teil deutscher Kultur wie jeder x-beliebige Dönerladen". Ende Mai brachte deshalb der AfD-Landesvorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen Sievers auf den Weg, weil dies eine völkische und damit verfassungsfeindliche Auffassung von Staatsbürgerschaft sei. Kurz danach wurde auch ein Verfahren gegen Matthias Helferich in Gang gesetzt. Die schriftlichen Anträge auf Parteiausschluss liegen dem WDR vor.
Helferich verliert Parteirechte nach "Viechers"-Post
Der umstrittene Dortmunder Bundestagsabgeordnete hatte sich auf X in dem Fall auf die Seite Sievers geschlagen und den Druck kritisiert, weil dieser Jesiden abschieben wolle - womit die angesprochene Frau gemeint war. Ein weiterer Grund, warum Helferich aus der AfD fliegen soll, ist ein anderer Social-Media-Post. Auf diesem ist ein Rückspiegelanhänger zu sehen, auf dem "Raus mit die Viecher" steht. Helferich kommentiert diesen mit "Super" und versieht das Bild mit dem Hashtag "Remigration".
Für den Landesvorstand der AfD reicht dies aus, Helferich nicht nur aus der Partei werfen zu wollen, sondern ihm auch unverzüglich die Mitgliederrechte zu entziehen. Helferich selber sieht darin eine Schmutzkampagne gegen ihn, sagt zu den Vorwürfen, juristisch habe das Verfahren keinen Bestand. "Es soll mich lediglich an einer Kandidatur für den Bundesvorstand hindern", mutmaßt Helferich.
Zuletzt hatte es tatsächlich immer wieder Gerüchte gegeben, Helferich wolle Teil des Vorstandes werden, der Ende Juni in Essen gewählt werden soll. Er genießt eine große Unterstützung bei der Jungen Alternative und auch in den ganz rechtsextremen Kreisen der Partei. Ohne Mitgliedsrechte wird er jedoch nicht antreten können.
Wer sich unterordnet, kann sich mehr erlauben?
Landeschef Vincentz dürfte dieser Schritt vor unangenehmen Entwicklungen in Essen schützen. Schon mehrfach hatte Helferich parteiintern überraschend und erfolgreich für Ämter kandidiert und damit den Lack des scheinbar gemäßigten AfD-Landeverbandes beschädigt.
Zuletzt ließ er sich auf dem Landesparteitag in Marl als Beisitzer - gegen den Willen des Landeschefs Vincentz - in den Vorstand wählen. Zu den angestrengten Ordnungsmaßnahmen will Vincentz sich nicht äußern, er verweist darauf, dass die Verfahren noch laufen. Der Preis dafür, derart entschieden gegen das JA-Umfeld vorzugehen, ist allerdings hoch, wie zwei Fälle beispielhaft zeigen.
Beim Ausschluss des JA-Funktionärs Nils Hartwig ging es um eine anonyme Mail an den Arbeitgeber einer Frau, die Mitglied in der AfD ist. In dieser wird sie als "knallharte Neonazi" bezeichnet, Hartwig soll die Mail geschrieben haben. Beleg für die Aussage ist ein Profilbild der Frau auf Facebook, über das sie eine "Schwarze Sonne" gelegt hat, ein Erkennungszeichen der Neonazi-Szene. Auf Bildern der Frau mit ihrem Mann trägt dieser Kleidung der Marke "Thor Steinar", eine in Neonazi-Kreisen gängige Marke.
Glaubt Aachener AfD-Kreisvorstand an Chemtrails?
Gegen die Frau hat es nach WDR-Informationen jedoch keine internen Maßnahmen gegeben. Auch der Kreisvorsitzende der AfD in Aachen, Roland Oschlies, konnte bisher ohne Konsequenzen teilweise öffentlich seine Überzeugung zeigen. So postete er bei Facebook bis 2019 Warnungen vor sogenannten Chemtrails. Dabei handelt es sich um eine Verschwörungsideologie, wonach mithilfe von Chemikalien in der Luft eine Bevölkerungsreduktion betrieben werden soll. Auch soll mithilfe der "Chemtrails" das Wetter beeinflusst werden.
Oschlies scheint zumindest der zweiten These zugeneigt zu sein, dem WDR liegen mehrere Facebook-Posts vor, wo er das sogenannte "Geo-Engineering" anspricht. Oschlies selber ließ zu den Einträgen Anfragen unbeantwortet. Dabei ist gerade sein Fall für den aktuellen Landesvorstand um Martin Vincentz mehr als nur unangenehm, der Aachener AfD-Vorstand gilt als großer Unterstützer des Landeschefs.
Anders als bei den angesprochenen Parteimitgliedern aus dem Umfeld der JA lässt der Vorstand daher Milde im Umgang mit den Posts walten. Innerparteilich sei Oschlies nie durch "radikale Äußerungen aufgefallen, nur durch Fleiß und konstruktive Mitarbeit", schreibt ein Sprecher der Partei. Man sehe auch keinen akuten Handlungsbedarf. "Es handelt sich um alte Aussagen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind", so der Sprecher weiter.
Der Fall dürfte die Lage der NRW-AfD weiter zuspitzen. Parteiinterne Kritiker werfen Vincentz schon länger vor, er setze unterschiedliche Maßstäbe an, wenn es um Ordnungsmaßnahmen gehe. Wer sich seinem Kurs unterordne, genieße eine gewisse Narrenfreiheit. "Wenn man mitspielt, sei man dabei, wenn nicht, dann ergehe es einem wie Helferich", sagt einer seiner Kritiker. Der Mann möchte namentlich nicht genannt werden - aus Angst vor Sanktionen.