Wer schon einmal seine Einkommensteuererklärung nicht rechtzeitig abgegeben hat, wird das kennen: Am Ende schätzt das Finanzamt den fälligen Steuerbetrag. Und wem das schon passiert ist, weiß auch: Dabei kalkulieren die Steuerbeamten äußerst selten zulasten des Staates. Ähnliches droht jetzt auch vielen Grundstückseigentümern in NRW.
770.000 fehlende Grundsteuererklärungen
Rund 770.000 Grundstückseigentümer haben bisher ihre Steuererklärung für die neue Grundsteuer in NRW nicht abgegeben. Die Frist dafür ist längst abgelaufen. Seitdem verschicken die Finanzämter Erinnerungs- und Mahnschreiben an die säumige Kundschaft. Doch wer sich nicht rührt, wird jetzt geschätzt. Das stellte das Finanzministerium in NRW klar.
Dort will man nicht von einer anrollenden "Schätz-Welle" sprechen. Doch man rechne mit einer "nennenswerten Zahl" von Schätzverfahren "im hohen sechsstelligen Bereich" bis Ende des Jahres. Für die Betroffenen verheißt das nichts Gutes. Denn geschätzt werde nach Aktenlage. Im Ergebnis also eher etwas höher als zu niedrig.
Schätzung kann teuer werden
Allerdings: Wer jetzt noch die Grundsteuererklärung abgibt, entgeht der amtlichen Festlegung. Auch danach gibt es noch einen Spielraum, wenn die Erklärung nachgeliefert wird. Außerdem wird es in NRW keine Strafen geben. Auch Verspätungszuschläge sollen nicht verteilt werden, heißt es aus dem Finanzministerium.
6,52 Millionen Grundstückseinheiten gibt es in NRW. Alle müssen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2018 mit einem neuen Verfahren bewertet und besteuert werden. Dafür müssen die Eigentümer viele Daten an die Finanzämter liefern. 88 Prozent haben das bereits getan. Die neue Grundsteuer wird dann ab 2025 erhoben.
Kommunen entscheiden über Höhe der Grundsteuer
Deshalb drängt die Zeit. Die Kommunen brauchen die neuen Grundsteuerberechnungen der Finanzämter. Am Ende müssen nämlich die Städte und Gemeinden entscheiden, wie hoch die Grundsteuer für ihre Bewohner tatsächlich ausfällt. Ihnen steht das Aufkommen zu. Und ganz wichtig: Sie legen die eigenen "Hebesätze" fest. Das ist die Zahl, mit der der errechnete Grundbetrag am Ende multipliziert wird, um die Steuerschuld in Euro in der jeweiligen Kommune zu ermitteln. Die Räte müssen möglichst früh im nächsten Jahr darüber befinden – mit nach Möglichkeit vollständigem Datenmaterial.
Dafür wird ihnen das Landesfinanzministerium eine wichtige Handreichung zukommen lassen. Für jede Kommune soll der "aufkommensneutrale Hebesatz" ausgerechnet werden. Daraus geht hervor, welcher Multiplikator angewendet werden müsste, damit das Grundsteueraufkommen unter dem Strich auf dem bisherigen Niveau bleibt.
Versprechen: Keine heimliche Steuererhöhung
Das war ein wichtiges politisches Versprechen aus der Zeit, als die Grundsteuerreform auf Bundesebene beschlossen wurde: Der Staat wolle die Gelegenheit nicht ausnutzen, um die Bürger insgesamt bei der Grundsteuer stärker zur Kasse zu bitten. Ob die Städte und Gemeinden sich alle an dieses Versprechen gebunden fühlen, ist allerdings offen. Am Ende entscheiden darüber die Kommunalparlamente.
Wer zahlt mehr, wer zahlt weniger?
Auch eine zweite wichtige Frage ist noch offen: Wer zahlt künftig mehr und wer zahlt weniger Grundsteuer? Vermutet wird, dass nach der neuen Berechnungsmethode Eigentümer eines gewerblich genutzten Grundstücks künftig eher weniger, dafür Eigentümer eines bewohnten Grundstücks eher mehr zahlen müssen. Das könne aufgrund der bisher vorliegenden Daten noch nicht ermittelt werden, heißt es dazu aus dem NRW-Finanzministerium.
Rund 376.000 Bürger haben nach Ministeriumsangaben bisher Einspruch gegen die neuen Grundsteuerbescheide eingelegt. Gerichtsverfahren seien aber noch nicht anhängig, auch Musterverfahren zur neuen Grundsteuer sieht das Finanzministerium noch nicht.
Grundsteuerreform verfassungswidrig?
Der Bund der Steuerzahler und Teile der Opposition im NRW-Landtag halten das in elf Ländern angewandte Gesetz des Bundes für verfassungswidrig. Die drohenden Verfassungsklagen ändern aber nichts an der Vorgehensweise. Die Bescheide werden nicht als "vorläufig" gekennzeichnet, wie in Rheinland-Pfalz. Dafür fehle in NRW die Rechtsgrundlage, teilt das Finanzministerium mit.
Das heißt: Sollten hohe Gerichte die jetzige Praxis einmal für verfassungswidrig erklären, würden wahrscheinlich nur diejenigen davon profitieren, die Einspruch eingelegt haben.