NRW-Innenminister Ralf Jäger ist ein Mann, der keiner Kamera aus dem Weg geht. Am Montag (11.01.2016) dürfte es aber selbst dem zackigen Sozialdemokraten ein wenig zu viel geworden sein. Einen solchen Presse-Rummel gibt es im NRW-Landtag nicht alle Tage. Reporter aus aller Welt wollen hören, wie Ralf Jäger dem Innenausschuss die drastischen Vorfälle der Kölner Silvesternacht erklärt: Wie konnte es passieren, dass hunderte Frauen bedrängt, begrapscht und bestohlen wurden, ohne dass die Polizei das verhinderte? Wie kann es sein, dass die Kölner Polizei zunächst von einer ereignislosen Silvesternacht sprach und später nur scheibchenweise mit der ganzen Wahrheit herausrückte? Hat Jäger das womöglich selbst veranlasst? Sollte verheimlicht werden, dass die Tatverdächtigen fast ausschließlich Ausländer sind, viele davon Asylbewerber?
Ein schonungsloser Bericht
Die Antwort des Ministers auf all diese Fragen lautet im Kern: Die alleinige Schuld an dem Fiasko trägt die Kölner Polizei. Die Beamten, die in der Nacht im Einsatz waren, nimmt Jäger ausdrücklich von dieser Wertung aus. Dafür aber fällt die Beurteilung der Polizeiführung derart schonungslos aus, dass sich selbst erfahrene Landtagspolitiker wundern. Die Polizei habe "gravierende Fehler" gemacht, sagt Jäger. Der Bericht seines Polizeiinspekteurs Bernd Heinen geht auf etlichen Seiten ins Detail. Die Führung der Kölner Polizei, so die Lesart des Ministeriums, hat Silvester auf ganzer Linie versagt.
Die zwei gravierenden Fehler der Kölner Polizei
Es sind vor allem zwei Fehler, die Jäger und Heinen der Polizei ankreiden. Fehler eins: eine falsche Einschätzung der Lage. Jäger beteuert, dass am Silvesterabend ausreichend Verstärkungskräfte der Polizei zur Verfügung gestanden hätten, um die Situation am Bahnhof zu entschärfen. Diese seien aber "wegen fehlender Informationen und mangelhafter Kommunikation" nicht angefordert worden. Noch um 23.30 Uhr habe der Dienstgruppenleiter der Polizei in Köln das Angebot von Verstärkung durch die Landesleitstelle abgelehnt. Erst kurz vor ein Uhr am Morgen habe die Bereitschaftspolizei überhaupt mitbekommen, dass es zu massenhaften sexuellen Übergriffen gekommen war. Inspekteur Heinen meint, es sei ein kritischer Fehler gewesen, die Führung des Einsatzes lediglich einem Beamten des gehobenen Dienstes anzuvertrauen - auch wenn dieser als sehr erfahren gilt. Angesichts der Lage hätte ein Beamter des höheren Dienstes mit einer vollen Führungsgruppe den Einsatz koordinieren müssen.
Mit der Aussage, es hätten genügend Verstärkungskräfte zur Verfügung gestanden, versucht Jäger einen der unangenehmsten Vorwürfe zu entkräften. Nämlich den, dass das Ministerium im Vorfeld abgelehnt habe, mehr Bereitschaftspolizei nach Köln zu schicken. Tatsächlich hatte das Kölner Präsidium eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei mit 123 Mann angefordert. Bewilligt wurde eine verkleinerte Hundertschaft mit 83 Beamten. Das sind deutlich mehr als an Silvester 2014, aber eben weniger als angefordert. Dieser Punkt ist und bleibt eine offene Flanke für Jäger.
Harsche Kritik am geschassten Polizeipräsidenten Albers
Fehler Nummer zwei: eine mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Polizei. Auch beim zweiten "gravierenden Fehler" sehen Jäger und seine Spitzenbeamte eine sehr eindeutige Schuld bei der Kölner Polizei. Durch die falsche Pressemeldung vom Neujahrstag und die Informationspolitik insgesamt sei "in der Öffentlichkeit der Eindruck der Vertuschung entstanden", heißt es im Bericht. Eine Breitseite bekommt der beurlaubte Polizeipräsident Wolfgang Albers mit. Dieser habe nichts getan, um dem Eindruck der Vertuschung entgegenzuwirken. Damit ist wohl vor allem die Pressekonferenz der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Montag nach Silvester gemeint. Reker sagte damals, es gebe keinerlei Hinweise, dass unter den Tatverdächtigen Asylbewerber seien. Albers, der an diesem Tag neben Reker saß, wusste es besser, hielt aber den Mund.
Jäger beteuert, selbst keine Mitschuld am Versagen von Köln zu haben. Es habe keine Aufforderung gegeben, die Identität der Verdächtigen zu verschleiern, sagt er im Ausschuss. "Es ist ausgeschlossen, dass das Ministerium operativ eingreift", sagt Jäger. Und: "Das wäre so, als ob die Gesundheitsministerin Operationen am Blinddarm selbst ausführt." Später nimmt Jäger den schiefen Vergleich zurück. Der Innenminister beteuert, das Phänomen der massiven sexuellen Gewalt aus einer Gruppe heraus künftig verstärkt zu verfolgen und zu ahnden. Jetzt gelte es, das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen und das Vertrauen der Bürger wieder herzustellen. Als kurzfriste Lösung werde es im Kölner Karneval mehr Polizei und Videoüberwachung geben.
Unterstützung von der Ministerpräsidentin
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat Innenminister Ralf Jäger (beide SPD) in seiner Kritik am Polizeieinsatz in der Silvesternacht in Köln unterstützt. Als die Nacht anders verlaufen sei als erwartet, habe die Polizei keine Einsatzkräfte nachgefordert. "Und da lag das Problem", sagte Kraft in der WDR-Sendung "Hart aber fair" am Montagabend. Jäger hatte der Kölner Polizeiführung am Montag gravierende Fehler vorgeworfen. Um die massiven Übergriffe auf Frauen zu verhindern, hätte sie auf zusätzliche, in der Nacht verfügbare Einsatzkräfte zurückgreifen müssen, sagte er.
CDU: "Höhepunkt des Staatsversagens in Nordrhein-Westfalen"
Das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen werde schwierig werden, glaubt dagegen die CDU. "Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist auf Jahre erschüttert", meint der Abgeordnete Gregor Golland. Die Übergriffe in Köln seien der "Höhepunkt des Staatsversagens in Nordrhein-Westfalen", sagt sein Parteifreund Theo Kruse. Im Land mache sich zunehmend "ein Gefühl der Rechts- und Führungslosigkeit breit". Werner Lohn, ebenfalls CDU, will ein "System Jäger" erkannt haben, den immer wieder "plumpen Versuch, Verantwortung nach unten abzuschieben".
CDU, FDP und Piraten greifen den Innenminister in der mehrere Stunden andauernden Sitzung massiv an. Etliche Fragen sind für sie unzureichend beantwortet. Insbesondere bleibe es bei dem Verdacht, Jäger habe politischen Einfluss ausgeübt. Auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ist längst im Visier der Opposition. Ihr Schweigen sei "ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Frauen", sagt die CDU-Abgeordnete Kirstin Korte. Vor einer letzten Konsequenz scheuen CDU und FDP jedoch zurück. Den Rücktritt Jägers fordern sie nicht. Noch nicht.