Die sogenannte Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Das geht aus dem entsprechenden Lagebild des Landeskriminalamts (LKA) hervor, das am Donnerstag vorgestellt wurde. Demnach gab es im vergangenen Jahr genau 7.000 Straftaten mit Clanbezug in NRW. Das sind knapp sieben Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Taten wurden von 4.213 Verdächtigen begangen. Auch das ist ein neuer Höchstwert. Unter den Tatverdächtigen hatten 2.183 die deutsche Staatsangehörigkeit. Es gab demnach 770 syrische, 580 libanesische, 407 türkische und 54 staatenlose Tatverdächtige. In 219 Fällen konnte die Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden.
Etwa fünf Prozent sind laut Innenministerium Mehrfachtatverdächtige (216), die für etwa ein Drittel (27 Prozent) der Taten verantwortlich seien.
Anteil von 0,5 Prozent
Insgesamt wurden 2023 laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die bereits im April vorgestellt wurde, rund 1,4 Millionen Straftaten in NRW gezählt. Der Anteil der Clankriminalität daran läge somit bei 0,5 Prozent. Womöglich ist dieser Anteil sogar noch geringer, weil die statistische Erfassung bei der Clankriminalität weniger streng geregelt ist als bei der PKS.
Zum Vergleich: Vergangenes Jahr wurden zum Beispiel 60.268 Fälle häuslicher Gewalt gezählt. Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte die Clankriminalität gleich nach seinem Amtsantritt zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht, seitdem lässt er das LKA Lagebilder dazu veröffentlichen.
Nordrhein-Westfalen sei "ein ungemütliches Pflaster für Clankriminelle", sagte Reul angesichts der neuen Statistik. Man fahre gut mit "Nadelstichen" und einer behördenübergreifenden Zusammenarbeit. "Der Kampf gegen Clankriminalität ist noch nicht gewonnen. Wir machen weiter", so Reul.
Opposition: Personalmangel bei Ermittlern
Die Opposition im Landtag sieht hingegen Versäumnisse bei Reul. "Entscheidend ist, die Kriminalpolizei so auszustatten, dass sie in der Lage ist auch Strukturermittlungen zu führen", sagte die SPD-Innenexpertin Christina Kampmann. 1.000 zusätzliche Beamtinnen und Beamte bei der Kripo seien erforderlich. Bislang habe der Minister "keine nachhaltigen Erfolge bei der Bekämpfung dieses Kriminalitätsphänomens" vorzuweisen.
Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, sagte: "Minister Reul läuft der Clankriminalität hinterher wie ein Feuerwehrmann, der versucht, ein brennendes Haus mit einem Eimer Wasser zu löschen." Es fehle an Personal für notwendige Ermittlungskommissionen.
Ein Drittel Rohheitsdelikte
Die meisten Taten (2.145) mit Clanbezug fallen im vergangenen Jahr in den Bereich "Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit", dessen Anteil beträgt rund ein Drittel. In knapp 1.500 Fällen ging es dabei um Körperverletzung, hierzu werden auch zum Beispiel Raub, Nötigung oder Erpressung gezählt.
Rund 1.200 Taten sind aus dem Bereich der Schweren Kriminalität, darunter gefährliche Körperverletzung oder Schutzgelderpressung. Zehn Tötungsdelikte werden der Clankriminalität zugeordnet - dabei gab es zwei Mordopfer. Bei 1.099 Fällen ging es um Vermögens- oder Fälschungsdelikte.
Begriff Clankriminalität ist umstritten
Der Begriff der Clankriminalität ist in der Wissenschaft umstritten. "Man sollte den Begriff nicht verwenden, weil er den Eindruck erweckt, dass ganze Familien, ganze Gruppen unserer Gesellschaft kriminell sind. Und das trifft nicht zu", sagte der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes in einem ARD-Interview.
"Aus wissenschaftlicher Perspektive können die Indikatoren, die angewendet werden, um Straftaten der 'Clankriminalität' zuzuordnen, nicht überzeugen", sagte die Kriminologin Laila Abdul-Rahman dem NDR. Diese Indikatoren seien "aus stereotypen Vorstellungen zusammengewürfelt und in ihrer Anwendung nicht transparent", so Abdul-Rahman.
LKA: "namensgebundene Recherche"
Das LKA ordnet Straftaten mit einer "namensgebundenen Recherche" der Clankriminalität zu. "Im Lagebild werden ausschließlich kriminelle Angehörige türkisch-arabischer Großfamilien erfasst, sofern Bezüge zum Libanon oder zur Bevölkerungsgruppe der Mhallamiye vorliegen", heißt es dazu. Aktuell umfasst die Liste 118 Familiennamen.
"Nicht jeder, der diese Namen trägt, ist Straftäter", betonte Reul. Aber jeder Straftäter, der diese Namen trage, tauche im Lagebild auf.
Laut Oliver Huth, NRW-Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, versuchen kriminelle Clans, "Einfluss auf unsere Zivilgesellschaft zu nehmen". Es gebe in der Bevölkerung teils "Angst vor Repressalien, wenn man diese Personen anzeigt". Die Tatverdächtigen seien meist im Umkreis ihres Wohnumfelds aktiv. Sie würden versuchen, "Gebietsansprüche geltend zu machen", so Huth.
Unsere Quellen:
- Lagebild Clankriminalität NRW 2023
- Pressemitteilung des NRW-Innenministeriums
- Reul vor Journalisten in Düsseldorf
- Kampmann und Lürbke laut Mitteilungen
- ARD-Interview mit Thomas Feltes
- NDR-Interview mit Laila Abdul-Rahman
- Huth im TV-Sender Phoenix