Das Ziel der Landesregierung in Sachen Windkraftausbau ist klar: Bis 2030 sollen etwa 12 Gigawatt Strom aus Windenergie kommen, doppelt so viel wie aktuell. Aber ist das überhaupt realistisch? Gibt es genug Flächen für die ambitionierten Ziele - und wie viele Windräder könnten in NRW überhaupt gebaut werden?
Die Antwort sollte eine Studie geben, die eigentlich schon im März hätte veröffentlicht werden sollen. Das NRW-Energieministerium hatte sie beim Landesamt für Umwelt- und Naturschutz (LANUV) in Auftrag gegeben. Doch die Veröffentlichung wurde abgesagt. Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart sagte damals, dass die Studie noch aktualisiert werde - und er sich dann äußern werde.
Tatsächlich sollte offenbar neu gerechnet werden. Denn die unveröffentlichte Studie, die dem WDR vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass das Ziel der Landesregierung unter den geltenden Rahmenbedingungen bestenfalls theoretisch erreichbar seien. Das Fazit: "Eine Verdopplung der installierten Leistung bis zum Jahr 2030 (…) ist derzeit jedoch eher unwahrscheinlich.“ Das "eher unwahrscheinlich" wurde nun gestrichen.
Studie sieht erst weniger Potential, dann deutlich mehr
Er fehlt in der neuen Version der Studie, die Anfang April veröffentlicht wurde. Sie kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Jetzt rechnet das LANUV mit einer Fläche von knapp 60.000 Hektar – etwa 10.000 mehr. Gesamtpotential: 16,4 GW – fast 3 GW mehr als im Entwurf der Studie und insgesamt deutlich über den Zielen der Landesregierung. Der Tenor ist deutlich positiver: Auf manchen Flächen bleibe die Möglichkeit einer tatsächlichen Nutzung zwar "eher gering", insgesamt sei eine größere Leistung und ein höherer Ertrag aber "möglich", heißt es nun in der neuen Studie.
Kalamitätsflächen neu einbezogen
Viele der Flächen, die neu in die Berechnung mit einbezogen wurden, sind sogenannte Kalamitätsflächen. Das sind Waldflächen, die durch Trockenheit oder den Borkenkäfer stark zerstört sind. Die freien Areale könnten, so die Theorie, relativ leicht für die Nutzung von Windenergie erschlossen werden. Tatsächlich stand schon im Studienentwurf im März, dass die Kalamitätsflächen ein "vermehrt nutzbares Potenzial" von über 11.000 Hektar Fläche bringen könnten und noch "nicht mit eingeflossen" seien in die Berechnung.
Grundsätzlich sei die Idee mit den Wäldern richtig, sagt Christian Mildenberger, Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW (LEE). Kalamitätsflächen zu nutzen habe die Branche schon lange gefordert: "Nichtsdestotrotz gibt es einfach viel zu viele optimistische Annahmen in dieser Studie, die wir so in der Realität nicht vorfinden.“
Das Grundproblem: Der Großteil der potenziellen Fläche liegt außerhalb der derzeit ausgewiesenen Windzonen, könnte also nicht einfach so genutzt werden, zum Beispiel wegen des Arten- oder Landschaftsschutzes. Das ist bei 84 Prozent der Fläche so. "Die Verfügbarkeit geeigneter Flächen ist ein kritischer Faktor", steht deshalb auch im Fazit der neuen Studie.
Kritik von den Grünen, Pinkwart sieht sich bestätigt
Kritik kommt von Wibke Brems, Sprecherin der Grünen im NRW-Landtag für Klimaschutz und Energie: "Die Studie zeigt, dass die Landesregierung es so hin und herrechnet, wie es ihr gerade passt. Ich finde, es sind schon fast Fake News, denn man braucht immer mehr Potenzialflächen als hinterher genutzt werden können.“
Der zuständige Minister Andreas Pinkwart (FDP) hingegen ist zufrieden mit dem Ergebnis: "Wir sehen durch die Studie das Potenzial gegeben, um unsere sehr ambitionierten Ziele zu erreichen.“ NRW sei schon heute eines der "führenden Windausbauländer in Deutschland" und werde es so auch bis 2030 weiterhin sein.
Es kommt zu wenig Leistung hinzu - NRW muss mehr bauen
Fakt ist: In NRW gingen im ersten Quartal dieses Jahres nur 23 neue Windräder in Betrieb. Im gesamten Jahr 2021 kamen nur 331 Megawatt neue installierte Leistung hinzu. Das ist im bundesweiten Vergleich immer noch gut - aber um die eigenen Ziele der Landesregierung zu erreichen, müsste drei Mal so viel Leistung pro Jahr hinzukommen.
Studie: Ohne 1000 Meter-Regel wäre viel mehr Potenzial da
Deutlich mehr Möglichkeiten, seine Windkraftziele zu erreichen, hätte NRW, wenn die 1000 Meter-Abstandsregel für Windräder geändert würde – das bescheinigt der Landesregierung auch die neue selbst in Auftrag gegebene Studie. Würde der Abstand von 1000 Metern auf 720 Meter verringert werden, würde das die zur Verfügung stehende Fläche für Windräder um 42 Prozent erhöhen. "Die Abstandsregel muss weg", fordert deshalb erneut SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty. Für Wibke Brems von den Grünen zeigt die Studie, wie durch die Regelung ein "enormes Potenzial brachliegen bleibt".
Doch an dieser Abstandsregel will die Landesregierung festhalten. Mit ihrer Mehrheit im Landtag bestätigte die Koalition aus CDU und FDP sie erst vor drei Wochen.
"Wir haben mit unserer Regelung viel Akzeptanz. Hier gibt es deutlich weniger Klagen als in anderen Bundesländern, wir haben viele Genehmigungen", verteidigt Pinkwart die Regelung. "Das kommt ja nicht von ungefähr. Unsere besonnene Herangehensweise ist effektiver als andernsorts, wo mit der Brechstange etwas vorangetrieben werden soll."
Etwas Selbstkritik übt aber auch der Wirtschaftsminister. Man habe bundesweit in den vergangenen Jahren eine "sehr negative Phase für die Windenergie" erlebt. Gemessen daran sei NRW noch "vergleichsweise stark" gewesen. Windräder müssten künftig aber schneller genehmigt und gebaut werden.