Die Corona-Pandemie hat die Situation in den Krankenhäusern und der Pflege massiv verschärft. Aber bereits vor dieser Ausnahmesituation war die Lage in NRW "angespannt", so zumindest die Wortwahl des zuständigen Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann (CDU). Wie angespannt, andere nennen es dramatisch, das belegt die aktuelle Studie "Landesberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein-Westfalen 2019", die seit 20 Jahren alle zwei Jahre erhoben wird. Laumann stellte sie zusammen mit Michael Isfort vom Institut für Pflegeforschung am Mittwoch in Düsseldorf vor.
Laumann: Corona-Lage "sehr, sehr im Auge behalten"
Die Studie bildet die Corona-Lage allerdings so gut wie gar nicht ab, die meisten Zahlen stammten aus 2019, erklärte Isfort. Für den Arbeitsmarkt lägen jedoch bereits Zahlen bis zum März 2021 vor. Sie zeigten, dass die Corona-Krise nicht dazu geführt hat, "dass die Pflegekräfte reihenweise aus den Krankenhäusern oder stationären Altenhilfeeinrichtungen rausgegangen sind", so Isfort.
Karl-Josef Laumann stellte aber auch fest, dass es seit zwei Jahren eine "äußerste Anspannung" in den Krankenhäusern und in der Pflege gibt. "Dass so eine Situation dazu führt, dass das System erholungsbedürftig ist, ist klar." Zu dieser Erholung gehörten Überstunden-Abbau und Urlaub für die Beschäftigten. Zudem würden "die Leute sensibler", wie Laumann den Stress umschrieb. "Darauf muss man reagieren und die Situation in Krankenhäusern sehr, sehr im Auge behalten."
Die Verdopplung des Fachkräftemangels
Auch wenn der gelernte Schlosser Laumann bei den Heizungsbauern einen noch größeren Fachkräftemangel als in den Gesundheitsberufen identifizierte, die Lage dort ist von großem Mangel gekennzeichnet: In der Pflege stieg die Anzahl der offenen bzw. zukünftig zu besetzenden Vollzeitstellen von 10.092 im Jahr 2016/2017 auf nunmehr 23.763. Das ist also mehr als doppelt soviel als im Vergleichszeitraum.
Konkret verteilt sich der Sofortbedarf auf die einzelnen Gesundheitsberufe wie folgt: Beim Pflegepersonal fehlen über 10 000 Fachkräfte, in der Gesundheits- und Krankenpflege rund 13.500, in der Kinderkrankenpflege etwa 1.450 und in der Altenpflege rund 8.800.
Gesundheitsberufe weiterhin attraktiv
Die gute Nachricht ist: "Eine Attraktivitäts-Verminderung können wir überhaupt nicht feststellen." Das sagte jedenfalls Pflegeforscher Isfort mit Blick auf die Gesundheitsberufe. Und führte als Beleg an, dass die Zahl der Auszubildenden auf einem Höchststand sei. In den Einrichtungen gebe es eine große Ausbildungsbereitschaft.
Im Schuljahr 2018/19 seien mit 17.078 Auszubildenden eine Höchstzahl in die Berufe Pflege und Therapie gestartet. Im vorherigen Berichtsjahr 2016/2017 seien es 15.187 Menschen gewesen.
Dieser hohe Ausbildungsstand liegt auch daran, dass in NRW das Schulgeld für einige Gesundheitsberufe abgeschafft wurde: In Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie mussten zuvor die Azubis für ihren Schulbesuch bezahlen. Künftig möchte Laumann zudem eine Ausbildungsvergütung in diesen Bereichen einführen.
Viele Pflegekräfte gehen bald in Rente
Dass Isfort die erstaunlich hohe Zahl von über 23.700 Fachkräften nennt, die aktuell in NRW zusätzlich benötigt würden, liegt auch an dem, was er den "berufsdemografischen Wandel" nennt: Viele Pflegekräfte würden in absehbarer Zeit in Rente gehen. Denn 40 Prozent aller Pflegekräfte in ambulanten Diensten seien über 50 Jahre alt. Das könne über die Ausbildung allein nicht aufgefangen werden.
Laumann will Zuwanderung attraktiver machen
Das weiß auch Gesundheitsminister Laumann und will deshalb unter anderem auf noch mehr Zuwanderung setzen. Zurzeit würden pro Jahr zwischen 3.000 und 3.500 ausländische Fachkräfte in NRW anerkannt. Diese Zahl will Laumann steigern durch eine gezielte Anwerbung aus dem Ausland, ohne das dortige Gesundheitssystem zu schwächen. Mit Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ließen sich entsprechende Länder finden, so Laumann. Rumänien gehöre sicher nicht dazu. Den Abfluss von Ärzte- und Pflegepersonal nach Deutschland nannte Laumann einen "Supergau".
Und Laumann will eine "Willkommenskultur", damit die Fachkräfte aus dem Ausland sich hier auch heimisch fühlen und bleiben. Dazu gehöre zum Beispiel, "mehrere Landsleute gemeinsam" anzuwerben, damit sich die Pflegenden nicht einsam fühlen. Und sie müssten "zu fairen Bedingungen" kommen.
Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, kritisierte im Anschluss an die Vorstellung des Landesberichts: "Minister Laumann hat es heute wieder verpasst, die nötigen Schritte gegen den Fachkräftemangel anzustoßen." Neumann stellt fest: "Bessere Löhne und Arbeitsbedingungen sind nötig."