Es fing gut an: Auf dem Vorstandsabend der AfD am Donnerstag war traute Einigkeit zu spüren. Kaum Debatten über rechte Skandale oder Störmanöver. Strategisch wird NRW auch immer interessanter. Umfragen sehen die Partei hier bei um die 15 Prozent, in absoluten Stimmen ist das bedeutsamer als 30 Prozent in einem ostdeutschen Bundesland.
Schaut man auf das in Magdeburg gezeigte Verhältnis von Landeschef Martin Vincentz zu AfD-Bundeschefin Alice Weidel kann man sogar vermuten, dass der 37-Jährige Arzt eine Art Führungsreserve werden soll.
Von Ost nach West?
Ein kurzes verlegenes Lachen der beiden Politiker, die eng beieinander stehen, dann schlägt Vincentz eine Welle von Euphorie und Lob entgegen, als die Frage nach seiner politischen Arbeit fällt. Weidel nennt ihn jung und talentiert. Seine Arbeit werde in NRW gebraucht, aber: "Ich muss ganz ehrlich sagen, ich würde mich auch freuen Martin Vincentz auch auf Bundesebene öfters mal anzutreffen", so Weidel.
Eine Kehrtwende. Der NRW-Landesverband war nicht immer in der Gunst der Bundesspitze. Bei der letzten Landtagswahl schaffte man es mit 5,4% nur knapp in den Düsseldorfer Landtag. Bundesvorstand Tino Chrupalla forderte damals kämpferisch eine "Initivative West". Der neue Fraktionschef Vincentz stand unter Druck.
Doch seitdem auch im Westen die Umfragewerte der Partei gestiegen sind, hat sich der Ton geändert. Vincentz hat sich strategisch klug verhalten, wird zum Kopf der Westverbände. Nach außen pragmatisch und gemäßigt auftretend, hat er die Verschiebung nach rechts in der Partei ausgehalten. Jetzt könnte er das nötige Standing für mehr haben.
Zwischen Karrierehoch und Angriffen auf die Macht
Also Karrierechancen in Berlin für den NRW-Landeschef? Alice Weidel, ursprünglich aus Gütersloh, betont ihren besonderen Bezug zum Bundesland. Vincentz kommentiert, es sei kein Geheimnis, dass Alice Weidel und er sich politisch und privat gut verstehen: "Bundesspitze und Landesverband gehen da gemeinsam in die gleiche Richtung."
Doch Magdeburg zeigt auch, dass die politische Realität für Vincentz deutlich bitterer ist. Nachdem sich schon bei der Kür zu Listenplatz drei abzeichnete, dass die Absprachen zwischen den mächtigen Landeschefs nicht zu halten waren, erwischte es in den folgenden Abstimmungen NRW.
Aber der Reihe nach.
Bewerbungen laufen aus dem Ruder
Dass etwas aus dem Ruder laufen und vor allem NRW dabei unter die Räder geraten könnte, zeichnete sich am Samstag ab, kurz bevor die Kandidatenaufstellung für die Wahl beginnen sollte.
Björn Höcke, der thüringische Landeschef und die Galionsfigur der ultrarechten AfDler, sprach von EU- und Nato-Austritt sowie einer deutschen Führungsrolle in der Zeit danach. Im Sinne des Bundesvorstandes war das nicht. Das ganze Wochenende versuchte Parteichefin Weidel Höckes Aussage "die EU muss sterben" zu relativieren. Was ihr aber sichtlich schwer fiel.
Streit im Osten, Schaden für NRW
Hinzu kamen noch weitere bemerkenswerte Entwicklungen: Nachdem die Wahl der ersten beiden Listenplätze ganz in seinem Sinne abgelaufen waren, kam es zum Raunen im Saal. Höcke schlug für Platz drei seinen Zögling René Aust vor. Der sächsische Landeschef Jörg Urban konterte das mit einer Gegenkandidatin. Ein offener Konflikt im ostdeutschen AfD-Lager trat zu Tage.
Den meisten im Saal war danach klar, dass keinerlei Absprachen mehr zu halten waren. Höcke konnte Aust zwar deutlich durchsetzen, danach begann jedoch ein aufschlussreiches Kandidatenbingo.
Guido Reil und Christian Blex fallen durch
Eigentlich sollte auf der Vier jemand aus NRW gewählt werden, Christian Blex war dafür vorgesehen. Trotz seines Ausschlusses aus der Landtagsfraktion sollte er nach Brüssel gehen. Als er seine Kandidatur erklärte, wurde auf einmal Guido Reil nominiert, der damit seinen Kollegen aus dem Landesverband herausforderte.
Reil, einst von der Essener SPD unter bundesweiter Aufmerksamkeit in die AfD eingetreten und über dieses Ticket ins Europaparlament eingezogen, war eigentlich auf dem Abstellgleis gelandet. Seine letzte Hoffnung war die Unterstützung des kleinen, völkischen NRW-Lagers um den Dortmunder Matthias Helferich. Dass Reil ausgerechnet einen Kollegen aus NRW dafür angriff, war überraschend.
Die Probleme bleiben in NRW
Beide Kandidaten fielen bei den Delegierten durch. Damit bleibt Blex als Fraktionsloser im Landtag und damit muss sich der Parteichef Vincentz weiter die Frage stellen, wie lange er Blex noch aus der Fraktion halten kann. Guido Reils politische Karriere dürfte sich am nächsten Wochenende erledigen. Ein aussichtsreicher Listenplatz ist dann, wenn weiter gewählt wird, in weiter Ferne.
Und noch eine Folge hatte die Aufkündigung der Absprachen durch die Delegierten: Es gab ein offenes Rennen um die Plätze für die gut dotierten EU-Jobs. Wer radikaler gegen Migration, EU-Bürokratie, Transgender oder Homosexualität wetterte, der hatte bessere Chancen.
Auf diese Art und Weise rutschte genau die Kandidatin durch, die man in Kreisen der westdeutschen AfD-Spitze unbedingt vermeiden wollte: Irmhild Boßdorf. Die ehemalige Pressesprecherin der NRW-AfD und Büromitarbeiterin von Ex-Parteichef Lucassen hielt die erwartet scharfe Rede.
Wahlkampf mit Ideen der Identitären Bewegung?
Unter anderem forderte sie millionfache Remigration gegen einen geplanten "Bevölkerungsaustausch". Damit bediente sie sich der Sprache der rechtsextremen Identitären Bewegung. Zu dieser Organisation wird Boßdorf eine Nähe nachgesagt. Mit dem sicheren Listenplatz neun ist sie nun eines der Gesichter der AfD für den anstehenden Europawahlkampf.
"War ein schöner Moment", schrieb ihr Hauptunterstützer Matthias Helferich, der sich einst in Chats als das "freundliche Gesicht des NS" bezeichnete. Diese Einschätzung dürften nur die wenigsten der NRW-Funktionäre teilen. Da nützte es auch nichts, dass einen Platz vorher mit Hans Neuhoff zumindest ein NRW-Mann aufgestellt wurde, mit dem der Landesverband leben kann.
Schon nach dem ersten Wochenende ist aber deutlich geworden: Die einjährige Ruhephase ohne große öffentliche Auseinandersetzungen in der NRW-AfD dürften in den nächsten Wochen vorbei sein. Allzu offen traten immer noch vorhandene Konflikte zutage.