Seit Jahren klagen die Staatsanwaltschaften in NRW über zu viel Arbeit, die offenen Verfahren gehen in die Tausende. Daran hat sich auch im letzten Jahr nichts geändert, ganz im Gegenteil: Der Aktenberg unerledigter Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen ist im vergangenen Jahr sogar weiter gewachsen.
Offene Verfahren Staatsanwaltschaften. WDR Studios NRW. 11.03.2025. 00:37 Min.. Verfügbar bis 11.03.2027. WDR Online.
Das geht aus Zahlen hervor, die der Deutsche Richterbund (DRB) vorgelegt hat. Sie beruhen auf einer Umfrage der Deutschen Richterzeitung bei den Landesjustizministerien. Demnach gab es Ende 2024 gut 255.000 offene Verfahren. Ein Jahr zuvor waren es zum gleichen Zeitpunkt noch knapp 243.000 offene Fälle. Das entspricht einem Anstieg um 5,2 Prozent.
Gründe für die Überlastung
War die Zahl der offenen Fälle zur Jahresmitte etwas geschrumpft, kehrte sich die Entwicklung danach wieder um. Das NRW-Justizministerium hatte sich gegen den Trend gestemmt, die Staatsanwaltschaften durch die Abordnung von Richtern verstärkt und die Zahl der unbesetzten Stellen verringert.
Doch auch dies half nur bedingt, denn wegen der Cannabis-Legalisierung im April mussten zusätzlich Akten von etwa 86.000 Verfahren geprüft werden. Unerledigte Ermittlungsverfahren sind keine NRW-Spezialität, das Bundesland liegt im Bundesdurchschnitt, wie der Richterbund mitteilt.
Nach Angaben des Richterbundes gibt es jedoch weitere Treiber der Überlastung. Dazu gehörten zum Beispiel vermehrte Straftaten wegen Hass und Hetze im Netz, zunehmende Hinweise auf kinderpornografische Inhalte aus den USA oder die zahlreichen Verfahren gegen Drogenhändler, die durch entschlüsselte Nachrichten der Firma EncroChat massenhaft aufgeflogen seien. Auch die gesetzlichen Neuregelungen gegen Geldwäsche hätten zu einem sprunghaften Anstieg aufwendiger Fälle geführt.
Aus dem NRW-Landesverband des DRB heißt es ergänzend, dass es zunehmend Verfahren mit einem "höheren Ermittlungsaufwand und Ermittlungsdruck" wegen einer besonderen Eilbedürftigkeit gebe. Leichter und schneller zu bearbeitende Verfahren würden hingegen abnehmen. Zu den aufwendigeren Fällen gehörten politische Delikte, Sexualdelikte und Wirtschaftsstrafverfahren.
Deutscher Richterbund NRW: Personal reicht nicht aus
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds NRW, Gerd Hamme, beklagt, dass das vorhandene Personal im Bereich der Staatsanwaltschaften nicht ausreiche, "um die Verfahren so gründlich und schnell zu bearbeiten, wie es in einem gut funktionierenden Rechtsstaat erforderlich ist". Er beruft sich auf Zahlen des NRW-Justizministeriums. Demnach lag Ende 2024 der Bedarf bei 1.813 Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, tatsächlich habe es jedoch nur 1.575 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegeben, es fehlten 238 neue Stellen.
Der DRB Landesverband NRW sieht "einen dringenden Handlungsbedarf der Politik". Gerade in Zeiten großer Verunsicherung sei es dringend erforderlich, "dass Unrecht schnell und effizient verfolgt und geahndet wird". Deshalb seien Investitionen in den Rechtsstaat und die Justiz dringend geboten.
Sie sollten sowohl die erforderlichen Stellen für die Strafverfolgung gewährleisten als auch die nötige technische Ausstattung finanzieren. "Es ist erforderlich, deutlich mehr in die Digitalisierung und in Ermittlungsarbeit unter Verwendung künstlicher Intelligenz zu investieren."
Die SPD-Opposition verlangt Antworten
Die SPD-Fraktion im NRW-Landtag erwartet in der kommenden Woche im Rechtsausschuss aktuelle Auskünfte der Landesregierung. Die nordrhein-westfälische Justiz habe "Löcher wie ein Schweizer Käse", bemängelte die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sonja Bongers. "Überall fehlt es an etwas."
Der Personalstand sei zu gering, die Krankenstand aufgrund der Überlastung hoch und technische Störungen an der Tagesordnung. Dabei sei das Hoch der Pensionierungswelle noch gar nicht erreicht. Aßerdem hatte der NRW-Justizminister im Sommer 2024, aufgrund der angespannten Haushaltslage, Kürzungen bei Referendarsstellen für angehende Juristen und Juristinnen durchgesetzt. "Die Referendar-Stellen zusammenzustreichen, ist auf jeden Fall die falsche Antwort.", so Bongers.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Deutscher Richterbund Mitteilung auf Anfrage
- Deutscher Richterbund NRW auf Anfrage