Pflege-Skandal: Ermittlungen gegen Aachener Unternehmer Westpol 09.06.2024 28:55 Min. UT DGS Verfügbar bis 09.06.2029 WDR

Pflegeheim-Skandal: Pleite als Geschäftsmodell?

Stand: 09.06.2024, 12:00 Uhr

Ermittlungen gegen den Aachener Unternehmer Hochscherff: Hat er mehrere Pflegeheime sich selbst überlassen? Trotz des Verdachts übernimmt er weiter Pflegeeinrichtungen.

Von Anne Bielefeld und Tobias Al Shomer

Das Pflegeheim Sankt Agnes in Bonn ist der neueste Fall in den Ermittlungsakten. Eigentlich sollte das Heim Ende vergangenen Jahres schließen, doch ein Unternehmen aus Aachen stieg Mitte Dezember 2023 ein.

Ruben Vela Caneiro, Ex-Leiter des Heims St. Agnes in Bonn | Bildquelle: WDR

Das Heim schien gerettet. Doch der Schein trügte. Der ehemalige Leiter der Einrichtung Ruben Vela Caneiro erinnert sich, dass irgendwann keine Gehälter mehr gezahlt wurden. Die Mahnschreiben türmten sich im Pflegeheim, so Caneiro. Die Geschäftskonten seien plötzlich leer gewesen. Als er bei der Bank nachgefragt habe, sei klar geworden: mehr als 140.000  Euro fehlten plötzlich.

Geld weg - Heimaufsicht muss eingreifen

Der Leiter der Einrichtung schaltet die Heimaufsicht der Stadt Bonn ein. Die erkennt, dass die Pflege nicht mehr gesichert ist und ordnet an, dass die Bewohner raus müssen. Binnen weniger Tage müssen sie sich ein neues Pflegeheim suchen und umziehen.

Für viele alte, teils demente Menschen ist das ein Drama, denn sie verlieren ihre gewohnte Umgebung, ihr Zuhause. Zwei Bewohner finden erst am Nachmittag vor der Schließung einen neuen Heimplatz.

Staatsanwaltschaft ermittelt in Pflegeheimen WDR 5 Westblick - aktuell 10.06.2024 04:31 Min. Verfügbar bis 10.06.2025 WDR 5

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Ex-Alemannia-Präsident Hochscherff beschuldigt

Ralf Hochscherff, Ex-Präsident von Alemannia Aachen | Bildquelle: WDR

Der Mann, der dafür mit verantwortlich sein soll, ist nach Recherchen des WDR-Magazins Westpol der bekannte Aachener Unternehmer Ralf Hochscherff, bis zum vergangenen Jahr auch Präsident des Fußball-Traditionsvereins Alemannia Aachen. Seine Firma hatte das Heim übernommen.

Auf konkrete Fragen zu den Vorgängen antwortet er nicht, schreibt nur allgemein, dass sie nichts mit seinen "Verantwortlichkeiten" zu tun hätten.  

Tatsächlich wurde nur 27 Tage bevor das Heim Sankt Agnes in Bonn geschlossen wurde, die Betreibergesellschaft verkauft. Ein neuer Geschäftsführer wurde eingesetzt. Urkunden aus dem Handelsregister belegen allerdings, dass es Ralf Hochscherff persönlich war, der dies beim Notar veranlasst hatte.

Ist das Vorgehen eine Masche?

Der letzte Leiter des Pflegeheims Sankt Agnes in Bonn, Ruben Vela Caneiro, hatte außerdem die Wahrnehmung, dass es weiter Hochscherff war, der die Entscheidungen traf. Caneiro ist seit 33 Jahren in der Pflegebranche tätig und hat es noch nicht erlebt, dass ein Heim einfach sich selbst überlassen wird, mit leerem Konto.

Der Verdacht ist allerdings: Es könnte eine Masche sein. Vieles am Bonner Fall erinnert an das Pflegeheim am Michaelsberg in Siegburg. Im Sommer 2023 musste die Einrichtung schließen. Auch hier war ein Unternehmen von Hochscherff beteiligt. Auch hier verkaufte er die Betreibergesellschaft kurz vor der Schließung an einen neuen Gesellschafter. Der ist danach, genau wie im Bonner Fall, für die Heimleitung und die Behörden nicht erreichbar.

Auch Heim in Solingen betroffen

Ob er wirklich existiert oder untergetaucht ist, ist unklar. Der finanzielle Schaden in Siegburg soll noch größer sein als in Bonn. Genau lässt er sich noch nicht beziffern. Der ehemalige Leiter des Heims schätzt, er könnte eine halbe Million Euro betragen.

Dazu kommt der Fall eines Solinger Pflegeheims, über den Westpol bereits im Juni 2023 berichtet hatte. Auch hier wurden Gehälter plötzlich nicht mehr gezahlt, die pflegebedürftigen Bewohner mussten Hals über Kopf ausziehen. Auch hier war der verantwortliche Unternehmer bis kurz vor der Schließung Ralf Hochscherff.

Westpol konnte in diesem Fall Unterlagen einsehen, die den Verdacht erhärten, dass Hochscherff mutmaßlich immer wieder Geld vom Konto des Heims auf ein persönliches Konto umgeleitet hatte. Auf Anfrage antwortete Hochscherff, dass dies haltlose Beschuldigungen seien. Er droht mit Klage wegen Rufmords und Verleumdung.

"Wirtschaftliche Zuverlässigkeit" wird bei Heimbetreibern nicht geprüft

Sowohl wegen des Siegburger Falls als auch wegen des Bonner Falls ermittelt die Staatsanwaltschaft Aachen gegen Hochscherff. In Bonn hatte die Heimaufsicht der Stadt Bonn Anfang Mai Strafanzeige gegen unbekannt erstattet. Das sei man den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen schuldig. Die Wut und Verzweiflung sei enorm gewesen, erklärt der Abteilungsleiter Winfried Rick. Außerdem gehe es um Schadenersatzansprüche.

Doch wie kann es überhaupt sein, dass ein Unternehmer wie Ralf Hochscherff, gegen den bereits ermittelt wird, einfach wieder ein Pflegeheim übernehmen darf? Neben dem Heim in Bonn stieg er mit verschiedenen Unternehmen in der Zwischenzeit auch bei Heimen in Hessen ein.

Der Leiter der Bonner Heimaufsicht, Winfried Rick, erklärt, von diesen Vorgängen habe seine Behörde keine Kenntnis gehabt. Grundsätzlich werde die wirtschaftliche Zuverlässigkeit nicht geprüft. Sobald ein Versorgungsvertrag zwischen Pflegeheim und Pflegekassen vorliege, reiche das aus.

"Das war für meine Seele ganz schlimm"

Sowohl in Siegburg als auch in Bonn gibt es bislang keinen Insolvenzantrag. Pleite sind die Häuser de facto trotzdem und mussten deshalb geschlossen werden. Für die Mitarbeiter hat das gravierende Konsequenzen. Sie kriegen weder Insolvenz- noch Arbeitslosengeld, denn auch eine Kündigung haben sie nie bekommen.

Der ehemalige Leiter des Bonner Heims Ruben Vela Caneiro hat sein ausstehendes Gehalt für zweieinhalb Monate innerlich schon abgeschrieben. Für ihn seien die Betreiber "Verbrecher". Er überlegt nach 30 Jahren die Branche zu verlassen: "Ich will sowas nicht wieder erleben. Das war für meine Seele ganz schlimm und das geht mir heute noch nach."

Überwachung von Unternehmern in der Pflegebranche "nicht umsetzbar"

Auch die Heimaufsicht der Stadt Bonn erklärt, dass ein solcher Fall bislang einzigartig in Bonn sei. Man habe die Bezirksregierung und das zuständige NRW-Gesundheitsministerium darüber informiert.

Auf WDR-Anfrage erklärt das MAGS NRW: "Eine entsprechende Überwachung aller verantwortlich handelnden Personen in Eigentümer- und Trägergesellschaften ist gesetzlich nicht vorgesehen und wäre im Ergebnis bei unterschiedlichsten Strukturen bei über 3.000 Pflegeeinrichtungen in NRW nicht oder nur mit sehr großem, unverhältnismäßigem bürokratischen Aufwand umsetzbar."

Ralf Hochscherff ist derweil weiter aktiv über verschiedene Gesellschaften. Dabei gibt er als Firmenanschrift zuweilen eine Adresse in einem Aachener Industriegebiet an. Als ein Westpol-Team sich vor Ort ein Bild machen will, findet es nur leere Büroräume vor. Offenbar wurden sie schon vor Monaten verlassen.

Unsere Quellen:

  • Recherchen des WDR-Magazins Westpol
  • Staatsanwaltschaft Aachen
  • Heimaufsicht Bonn
  • Handelsregister

Über dieses Thema berichtet das WDR-Fernsehen auch am 09.06.2024 um 19.30 Uhr im Magazin "Westpol".