Die Bodycam-Tragepflicht sei eine der Maßnahmen nach den tödlichen Schüssen auf einen 16-jährigen Flüchtling in Dortmund, sagte Innenminister Herbert Reul im Innenausschuss des Landtags. Eine Pflicht, die Kamera jederzeit anzuschalten, werde es aus rechtlichen Gründen aber nicht geben. Bodycams sind Kameras, die an der Uniform befestigt sind.
Der CDU-Politiker sprach aber eine "Einschaltempfehlung" aus - wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Doch im Polizeigesetz wird den Beamtinnen und Beamten Ermessensspielraum gelassen - es gibt mehrere "Kann"-Bestimmungen. Letztlich bleibt es also Ermessenssache der Polizeikräfte, ob sie die Kamera einschalten. Laut einer US-Studie aus dem Jahr 2018 kann eine eingeschaltete Kamera einen "kleinen" Beitrag dazu leisten, dass Konfliktsituationen bei Polizeieinsätzen entschärft werden.
Philipp Krüger, Polizei-Experte bei Amnesty International, sagte dem WDR: "Ob die Bodycam so wirkt, wie sich der Gesetzgeber dies vorgestellt hat, ist angesichts der internationalen und auch nationalen Forschungslage zweifelhaft." Betroffene von Polizei-Maßnahmen müssten einen Anspruch darauf haben, dass die Kamera eingeschaltet wird. Die Aufnahmen sollten Opfern von Polizeigewalt zur Verfügung gestellt werden, fordert Krüger.
Ziel: besseres Training für die Polizei
Die Tragepflicht soll bereits im April kommen. Reul stellte im Innenausschuss ein Maßnahmenpaket vor, zu dem neben der Tragepflicht der Kameras auch der Ausbau des Einsatztrainings für Polizisten gehören soll. Polizisten sollen "im Umgang mit Menschen aus marginalisierten Communities sowie für Einsätze mit psychisch Erkrankten" gestärkt werden", sagte die Grünen-Innenpolitikerin Julia Höller.
Von Schwarz-Grün beschlossene Maßnahmen für die Polizei:
- Verbindliche Schulungen der rund 18.000 Polizistinnen und Polizisten im Wachdienst. Künftig soll es zwei zusätzliche und verpflichtende Trainingstage geben. Insgesamt sind es dann sieben verbindliche Präsenz-Trainingstage pro Jahr, bei denen Einsätze wie Personen- und Fahrzeugkontrollen, Einsätze bei häuslicher Gewalt oder Durchsuchungen von Personen trainiert werden.
- Verstärkt sollen mehr Dolmetscher eingesetzt und auf vorhandene Sprachkenntnisse bei der Polizei selbst zurückgegriffen werden.
- Polizei-Führungskräfte, die bei größeren Einsätzen auch vor Ort die Entscheidungen treffen, werden noch einmal gesonders geschult.
- Einsätze sollen besser nachbereitet werden. Zudem soll es bessere schriftliche Anweisungen und Handlungsempfehlungen geben.
Für Bodycams gibt es in NRW bisher nur eine Trageempfehlung, keine Pflicht. Im Fall des getöteten Jugendlichen in Dortmund hatten Polizisten zwar Bodycams dabei, aber nicht eingeschaltet.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stellte sich hinter die Pläne von Reul. GdP-Landeschef Michael Mertens sagte, wichtig sei nun, die Bodycam zum Teil der Fortbildung zu machen. Reuls Ankündigung, die verpflichtende jährliche Fortbildung von Einsatzkräften auszubauen, nannte er hervorragend.
Das Thema Fortbildung sei in allen Bereichen extrem wichtig und bringe die Polizei nach vorn. Die Zeit, die die Beamten in der Fortbildung verbringen, dürfe aber nicht zu Lasten der Präsenz gehen, so Mertens.
SPD fordert Rechtssicherheit
Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, sieht die Bodycam-Entscheidung hingegen kritisch: "Die Einführung der Tragepflicht von Bodycams als Konsequenz aus dem Tod eines 16-Jährigen in Dortmund geht am Problem vorbei. Schließlich haben die Polizisten dort eine Bodycam getragen, diese war aber nicht eingeschaltet."
Der Sozialdemokratin ist Reuls Einschalteempfehlung bei den Kameras zu schwammig. Der Minister müsse endlich für Klarheit sorgen und Polizistinnen und Polizisten mit der Verantwortung nicht alleine lassen.
Kampmann: "Dabei nur Empfehlungen an die Polizei auszusprechen, ist mehr als inkonsequent. Sein Appell sollte sich besser an ihn selbst richten – indem er für die nötige Rechtssicherheit sorgt."
Konsequenz aus Einsatz in Dortmund
Hintergrund der Reformen: Der Einsatz in Dortmund lief zunächst als Einschreiten bei einem Suizidversuch. Der Flüchtling aus dem Senegal soll zunächst gedroht haben, sich mit einem Messer zu töten. Ein Polizist erschoss ihn mit seiner Maschinenpistole.
Der Schütze wurde inzwischen wegen Totschlags, der Einsatzleiter wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung und drei Beamte wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt.
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 23.03.2023 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.