Eine Demonstration in Köln Ende Oktober, gut zwei Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Direkt neben dem Dom haben sich einige hunderte Menschen versammelt. Der Titel der Kundgebung: "Solidarität für Palästina". Eine Frau ergreift das Mikrofon und ruft: "Wir sind hier geknechtet durch unsere Regierung. Nicht nur in Deutschland, alle Regierungen weltweit."
Sie spricht von "13 Blutlinien, die über 8 Milliarden Menschen bestimmen". Die Menschen applaudieren. Die Rednerin ist Bianca Paffenholz, das bekannteste Gesicht aus der Kölner verschwörungsideologischen Szene. Zuletzt noch mit der Gruppierung "Köln ist aktiv" auf Corona-Demos, versucht sie heute mit dem Thema Palästina zu mobilisieren.
Antisemitische Verschwörungserzählungen auf Demos
Daniel Vymyslicki war bei der Demonstration vor Ort, um antisemitische Vorfälle für das NS-Dokumentationszentrum Köln festzuhalten. Bei den "13 Blutlinien" handle es sich eindeutig um eine antisemitische Verschwörungserzählung: "Es ist die Vorstellung, dass einige wenige mächtige Familien die ganze Welt beherrschen. Solche Vorstellungen gab es schon im Nationalsozialismus."
Eine Corona-Leugnerin bei einer Pro-Palästina-Demo - das ist in den vergangenen Wochen immer wieder zu beobachten gewesen. Für das WDR-Magazin Westpol haben Reporterinnen das auf mehreren Demos in NRW dokumentiert. Die Recherchen zeigen, wie sich im Zuge des aktuellen Krieges in Nahost gerade neue Allianzen bilden.
Neue Allianzen - von Querdenkern bis zu Rechtsextremisten
Bei mehreren pro-palästinensischen Demonstrationen traten Menschen auf, die in der Corona-Leugner-Szene oder durch pro-russische Aufrufe bekannt sind, Verschwörungserzählungen und Desinformationen im Netz teilen oder seit Jahren vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft sind. Einige gehören Parteien wie der "Gerechtigkeitspartei" von Jürgen Todenhöfer, "Die Basis" oder "Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit" an.
Daniel Vymyslicki vom Kölner NS-Dokumentationszentrum erklärt sich die neue Aktivität damit, dass andere Themen gerade nicht mehr ziehen: "Die Corona-Pandemie hat einfach nicht mehr die gesellschaftliche Relevanz, die sie zuvor hatte. Das ist jetzt der Versuch, neue Anhänger zu finden."
Israelhass als "Klebstoff"
Ein für ihn überraschender Schulterschluss: "In der Verschwörungstheorie-Szene in NRW haben wir seit der Corona-Pandemie eine große Nähe zur rechtsextremen Szenen. Insofern ist es eigentlich nicht natürlich, dass man sich für die Belange des palästinensischen Volkes einsetzt. Aber wir sehen, dass Israelhass, der meistens nur einen Antisemitismus verbirgt, auf beiden Seiten der Klebstoff ist, der diese verschiedenen Gruppierungen zusammenbringt."
Ähnlich bewertet es NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU): "Sobald der Anlass, etwa die Corona-Pandemie, abgeklungen ist, sind sie plötzlich Unterstützer der Hamas. Denen geht es eigentlich darum, gegen das 'System', gegen das Establishment zu sein." Der NRW-Verfassungsschutz ist wegen der neuen Allianzen, die sich auf den Demos und im Netz bilden, alarmiert.
Auch Todenhöfer tritt auf - und spricht von "Meinungsdiktatur"
Auch der ehemalige CDU-Politiker und Publizist Jürgen Todenhöfer trat schon öfter bei Querdenken-Demonstrationen auf. Anfang November redete er bei einer Demonstration in Düsseldorf, zu der laut Polizei 17.000 Menschen kamen - und bediente sich bei Querdenken-Parolen. "Gebt nicht nur den Palästinensern ihre Freiheit, sondern gebt endlich den Deutschen ihre Meinungsfreiheit, ihre Zivilcourage zurück", rief Todenhöfer der Menge zu, "Schluss mit der flächendeckenden Meinungsdiktatur".
Todenhöfer hat inzwischen eine eigene Partei, "Team Todenhöfer", mit der er nächstes Jahr auch in NRW zur Europawahl antreten will. Die pro-palästinensischen Demonstrationen geben ihm die Möglichkeit, mehr Muslime oder Menschen mit Migrationsgeschichte zu erreichen.
"Sie zielen auf Menschen ab, die gerade wütend oder traurig sind"
"Wir sehen, dass Personen und Accounts wie die von Jürgen Todenhöfer genau dieses Gelegenheitsfenster sehr professionell ausschlachten", sagt Özgür Özvatan vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. "Sie zielen ganz klar auf die Menschen ab, die wegen des Kriegs gerade wütend und traurig sind. Aber auch auf andere Menschen, die frustriert sind mit der Art und Weise, wie Demokratie funktioniert."
Auf WDR-Anfrage schreibt Todenhöfer, er habe sich schon lange vor der Gründung seiner Partei gegen Krieg und für Frieden engagiert. Es sei traurig, dass man in Deutschland die Kriege mancher Länder nicht mehr kritisieren dürfe. Außerdem habe er auch die Terrorattacke der Hamas auf Israel vom 7. Oktober verurteilt.
Gemeinsame Auftritte mit muslimischen Influencern
Bei der Düsseldorfer Demonstration stand Todenhöfer gemeinsam mit muslimischen Influencern wie Issam Bayan und Serhat Sisik auf der Bühne. Sie erreichen auf Social Media zehntausende Follower. Mit ihren Themen sprechen sie vor allem muslimische Menschen an.
Sie teilen teilweise auch fragwürdige Inhalte, z.B. von "Generation Islam". Die Organisation wird von Sicherheitsbehörden der islamistischen Gruppierung Hizb-ut-Tahrir zugeschrieben. Die wird wiederum offiziell vom NRW-Verfassungsschutz beobachtet. Sie spricht Israel das Existenzrecht ab und darf sich in Deutschland nicht betätigen.
Salafisten und Rechtsextreme nebeneinander
Eine besonders extreme Form der Zusammenarbeit von Radikalen unterschiedlichster Richtungen hat sich bei einer anderen Demonstration in Köln am 18. November gezeigt. Aufgerufen hatte hier die Splitterpartei "Aufbruch Frieden, Souveränität, Gerechtigkeit", ein Bündnis von Rechtsextremen, einem Salafisten und pro-russischen Propagandisten, deren Führungsmitglieder vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Eingeladen haben sie den Publizisten Christoph Hörstel, der in seinem Telegram-Kanal immer wieder verschwörungsideologische Inhalte teilt. Auf der Demonstration verteilt er ein Flugblatt, das ihn zusammen mit einem der Anführer der Hamas zeigt. Den Terrorangriff der Hamas am 7. November nennt er in seiner Rede "Notwehr" und spricht Israel das Existenzrecht ab: "Meine Überzeugung ist inzwischen: Es wird mit Israel nicht zu machen sein. Wir müssen die Bereitschaft entwickeln, diesen Staat abzuwickeln."
NRW-Innenminister Reul spricht von einem "gravierenden Phänomen", das sich auf den Demos und im Netz zeigt. Für ihn ist klar, dass die unterschiedlichen Gruppen die Proteste instrumentalisieren wollen: "Sie wollen Unruhe in der Gesellschaft schaffen und damit natürlich die Chance ergreifen, den Anlass für ihre Zwecke zu nutzen." Der Verfassungsschutz werde diese Entwicklung genau beobachten.