Das von Ina Scharrenbach (CDU) geführte Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitales hat im sogenannten Aktenstreit gegen die Landesverfassung verstoßen. Das hat der NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster am Dienstag entschieden (Aktenzeichen: VerfGH 31/23).
Geklagt hatten drei Abgeordnete der oppositionellen SPD-Fraktion des NRW-Landtags. Sie sehen sich in ihren parlamentarischen Rechten bei der Aufarbeitung der Flutkatastrophe vom Juli 2021 beschnitten.
Das Gericht sagte zu seiner Begründung: Der Parlamentarische Untersuchungs-Ausschuss habe den Auftrag gehabt, mögliches Fehlverhalten während der Hochwasserkatastrophe zu untersuchen. Das Ministerium sei dem Anspruch der Aktenvorlagen für das Recht der Beweiserhebung des Untersuchungs-Ausschusses nicht nachgekommen, so der Verfassungsgerichtshof.
Nur zehn Seiten für den Untersuchungs-Ausschuss
Ina Scharrenbach hatte für den Parlamentarischen Untersuchungs-Ausschuss (PUA) zur Aufarbeitung der Hochwasser-Katastrophe im Juli 2021 den Abgeordneten erstaunlich wenig Akten vorgelegt - nur zehn Seiten.
Das Justizministerium hingegen stellte 12.000 Seiten zur Verfügung. Die Bauministerin begründete die schlanke Aktenauswahl damit, dass sie den relevanten Untersuchungszeitraum auf lediglich zwei bis drei Tage während des Hochwassers eingrenzte. Die Parlamentarier hatten jedoch auch Akten mit Informationen zu dem Zeitraum danach bis September erwartet.
Der Einsetzungsbeschluss des PUA Hochwasser vom Juni 2022 sieht aber einen Untersuchungszeitraum vom 09.07.2021 bis zum 09.09.2021 vor.
Ina Scharrenbach hatte dem Ausschuss ihre überschaubare Aktenauswahl damit begründet, dass der PUA lediglich die Tage rund um den Starkregen aufklären solle. Vor Gericht argumentierte das Ministerium zudem damit, dass der zugrunde liegende Beweisbeschluss "zu unbestimmt sei".
Klare Ansagen vom Verfassungsgericht
Das NRW-Verfassungsgericht stellte ausdrücklich fest: "Bei der Auslegung des Beweisbeschlusses ergibt sich, dass der Untersuchungsauftrag zeitlich nicht auf den Zeitraum bis zum Abfließen der Wassermassen beschränkt ist, sondern die Zeit vom 9. Juli bis zum 9. September 2021 erfasst. Denn dieser Untersuchungszeitraum wurde durch den Landtag im Einsetzungsbeschluss explizit festgehalten." Und das Gericht fügte hinzu: "Insbesondere spricht der historische Kontext gegen die von der Antragsgegnerin vorgenommene zeitliche Einschränkung."
Der Beweisbeschluss, den Scharrenbach als zu unbestimmt bemängelt hatte, sei nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Diese Begründung, so das Gericht, hätte das Ministerium im Vorfeld anbringen müssen. Dann hätten die SPD-Abgeordneten eine Chance gehabt, die "Vorlageverweigerung" nachzuvollziehen und zu überlegen, ob sie in Münster klagen.
Dem WDR erläuterte Gerichtssprecher Jörg Sander, das Ministerium müsse nun prüfen, "ob es weitere relevante Akten gibt", sie seien dann Gegenstand des Untersuchungs-Ausschusses.
Bauministerium dankt dem Gericht für das "klarstellende Urteil"
Daniel Sieveke (CDU), Staatssekretär im Bau- und Kommunalministerium, sagte dem WDR nach der Urteilsverkündung: "Wir danken dem Gericht für das klarstellende Urteil im Hinblick auf den Untersuchungs-Auftrag des Untersuchungs-Ausschusses." Die Urteilsbegründung werde das Ministerium "nun in der gebotenen Sorgfalt prüfen".
SPD spricht von Grenzen für "die Arroganz der Macht"
Der SPD-Abgeordnete René Schneider, Sprecher seiner Fraktion im Untersuchungs-Ausschuss, sagte dem WDR: "Das Urteil ist sehr, sehr eindeutig." Es sei ein Sieg für das Parlament. Das Gericht habe festgestellt, dass Ina Scharrenbach "viel zu wenig Akten geliefert hat, nämlich nur für zwei Tage statt für zwei Monate. Das muss sie jetzt revidieren." Dass Ina Scharrenbach nicht vor dem Verfassungsgericht erschienen war, bezeichnete Schneider als "Armutszeugnis".
Zudem teilte Schneider mit, das Gericht habe "die Rechte der Abgeordneten gestärkt und der Regierungswillkür von Frau Scharrenbach klaren Einhalt geboten. Der Arroganz der Macht wurden heute eindeutige Grenzen gesetzt."
Die Gewaltenkontrolle sei ein hohes Gut unserer Demokratie. "Es kann auch durch die Interpretation und Wortakrobatik einer Ministerin nicht ausgehebelt werden", sagte Schneider. "Diese unmissverständliche Botschaft hat Signalwirkung für die Arbeit laufender und künftiger Untersuchungsausschüsse in und außerhalb von Nordrhein-Westfalen."
FDP sieht Scharrenbach "spektakulär gescheitert"
Der rechtspolitische Sprecher der oppositionellen FDP-Fraktion, Werner Pfeil, sprach angesichts des Urteils von einem "schwarzen Tag für die Ministerin" und einem "Sieg der Rechtsstaatlichkeit". Pfeil fügte hinzu: "Mit ihrer Aktenblockade ist Ministerin Ina Scharrenbach vor dem Verfassungsgerichtshof spektakulär gescheitert."
CDU verweist auf PUA der letzten Legislaturperiode
Der Sprecher der CDU-Fraktion im Untersuchungs-Ausschuss, Thomas Schnelle, stellte als Reaktion auf das Urteil den Mehrwert von weiteren Akten aus dem Scharrenbach-Ministerium infrage. Schnelle verwies auf den ersten PUA zur Hochwasser-Katastrophe in der letzten Legislaturperiode. Da seien "tausende Seiten Akten" aus dem Ministerium geliefert worden. Ina Scharrenbach habe bereits umfassend zur Aufklärung beigetragen.
Der CDU-Politiker kommt zu dem Schluss: "Die Verhandlung hat aber auch gezeigt, dass wir in Zukunft als Parlament Einsetzungsbeschlüsse für Untersuchungsausschüsse und Beweisanträge konkreter und eindeutiger fassen müssen, um solche Auslegungsfragen von vornherein ausräumen zu können."
Über dieses Thema berichten wir am Dienstag auch im WDR-5-Landesmagazin Westblick, ab 17.04 Uhr.