Nach Unterlagen, die dem WDR vorliegen, hat die Polizeiführung in Köln offenbar eine vor der Silvesternacht erstellte Gefahrenprognose verändert und in ihrer Kernaussage entschärft. Demnach hatte der Leiter der Innenstadtwache, Peter Römers, bereits am 2. Dezember 2015 vor nordafrikanischen Tätergruppen gewarnt. Römers war am Dienstag (19.04.2016) als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags geladen. Er bestätigte, dass die Gefahrenprognose von seinen Vorgesetzten verändert wurde. Warum, konnte er nicht sagen.
Tumultdelikte begangen von Nordafrikanern
Wörtlich heißt es in dem Schreiben, das dem WDR vorliegt: "Neben einer Vielzahl von Körperverletzungsdelikten (häufig als "Tumultdelikt") hat es in den letzten Jahren insbesondere in den Deliktsbereichen Taschendiebstahl und Straßenraub erhebliche Steigerungen gegeben. Dies dürfte maßgeblich auf die Täterklientel Nafri (Anmerkung: nordafrikanische Intensivtäter) zurückzuführen sein, die die günstigen Tatgelegenheitsstrukturen nutzen."
Die Gefahreneinschätzung schickte der Inspektionsleiter routinemäßig an seine vorgesetzte Stelle, die Direktion GE (Gefahrenabwehr/Einsatz) unter Leitung des leitenden Polizeidirektors Michael Temme. Von dort wurde das Schreiben zum LZPD (Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste) geleitet, das darüber entscheidet, wie viele Bereitschaftspolizisten bewilligt werden. Der letzte Satz, der Hinweis auf die Täterklientel "Nafri", war dabei gelöscht worden. Erst zwei Tage später erhielt das LZPD die unveränderte Lageeinschätzung. Ob sie für die Kräftezuweisung dann noch eine Rolle spielte, ist unklar.
Gefahren durch Pyrotechnik verharmlost?
Es gibt noch ein anderes Beispiel für veränderte Formulierungen. So heißt es in der Originalversion: "Gerade in Bezug auf diese Lage in Verbindung mit einem massiven und häufig rücksichtslosen Einsatz von Pyrotechnik und Feuerwerkskörpern (gezieltes "Beschießen" von Personen, auch Einsatzkräften) und den daraus resultierenden Gefahren (Panikreaktionen u.ä.) ist eine deutlich sichtbare polizeiliche Präsenz im gesamten Einsatzraum erforderlich." Daraus wurde in entschärfter Form: "In der Vergangenheit war zudem ein zunehmend rücksichtsloser Umgang mit Feuerwerkskörpern bis hin zum gezielten Beschießen von Personen und Personengruppen festzustellen. Dabei wurden vereinzelt auch Rettungskräfte gezielt beschossen."
Kölner Polizei bekam weniger Kräfte als angefordert
Die Lageeinschätzung von Inspektionsleiter Römers ist deshalb so interessant, weil er deutlich mehr Bereitschaftspolizei angefordert hatte, als bewilligt wurde. Für nötig hielt er eine Hundertschaft mit 123 Mann. Das LZPD bewilligte lediglich 83 Beamte, also einen Zug weniger. Ein Grund dafür könnte die von der Polizeispitze abgeschwächte Gefahrenprognose für das LZPD gewesen sein.
Römers sagte, dass die Silvestereinsätze in Köln seit dem Jahr 2013 immer schwieriger geworden sind. Probleme mache zum einen die Rücksichtslosigkeit beim Umgang mit Feuerwerk. Außerdem seien an Silvester vermehrt Taschen- und Trickdiebe - überwiegend aus nordafrikanischen Staaten - unterwegs. Nach den Silvesterfeiern 2014 habe der Einsatzleiter zu Römers gesagt, man komme mit dem Personal nicht mehr hin. Da die allgemeine Sicherheitslage zum jüngsten Jahreswechsel zudem angespannt war, forderte Römers eine komplette Hundertschaft Bereitschaftspolizei für Köln an. Er habe ein ungutes Gefühl gehabt, sagt er, "Bauchgefühl nach 40 Dienstjahren".
"Der eine Zug war nicht kriegsentscheidend"
Trotzdem konnte der erfahrene Inspektionsleiter das LZPD nicht überzeugen, die ganze Hundertschaft nach Köln zu schicken. Frühere Zeugen hatten diese Entscheidung deutlich kritisiert. Römers selbst sagte vor dem Ausschuss, er habe die Entscheidung hingenommen. Der eine Zug sei nicht "kriegsentscheidend" gewesen. Er habe auch nie Zweifel daran gehabt, dass seine Polizisten die Lage bewältigen können. "Das Letzte, was ich tun würde, wäre Kollegen in einen Einsatz zu schicken, den sie nicht gewinnen können", sagt der 59-jährige Polizist. Was dann tatsächlich in Köln passiert ist, damit habe man nicht rechnen können.