Über 30 Zeugen hat der Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht bislang vernommen. Viele waren verunsichert, andere kleinlaut, einige hatten einen Rechtsbeistand an ihrer Seite. Nicht jedoch Ralf Jäger (SPD). Als der NRW-Innenminister den Sitzungssaal betritt, lächelt er in das Blitzlichtgewitter. Wie immer bei öffentlichen Auftritten geht er betont aufrecht, drückt die Brust raus, signalisiert Entschlossenheit. Von Verunsicherung ist bei ihm am Montag (09.05.2016) zumindest äußerlich keine Spur. Und das, obwohl von diesem Auftritt seine weitere Karriere abhängen könnte.
Jäger gelingt es, die Angriffe zu parieren
Über viele Stunden wird Jäger danach von den Mitgliedern des Ausschusses befragt. Seine selbstbewusste Haltung verliert Jäger an keiner Stelle. Im Gegenteil: Er ist forsch, reagiert bisweilen genervt. Immer wieder versucht er, die Frager von CDU und FDP durch Rückfragen zu verunsichern. "Ich verstehe die Unterstellung in Ihrer Frage nicht", sagt er einmal. "Versuchen Sie nicht, meine Aussage zusammenzufassen, das mache ich lieber selbst", weist er einen anderen Abgeordneten zurecht. Unterstützt durch auffällig unkritische Fragen von SPD und Grünen gelingt es Jäger so, die Angriffe der Opposition zu parieren. Ohne allerdings zur Aufklärung der vielen offenen Fragen etwas beizutragen.
Wer war der mysteriöse Anrufer am 1. Januar?
Eine dieser Fragen, auf die der Ausschuss immer wieder zu sprechen kommt, dreht sich um den mysteriösen Anrufer vom Mittag des 1. Januars. Zwei Polizisten der Kölner Wache hatten vor dem Ausschuss ausgesagt, am Neujahrstag von einem Beamten aus der Landesleitstelle der Polizei angerufen worden zu sein. Bei diesem Telefonat soll es um eine WE-Meldung (WE heißt Wichtiges Ereignis) gegangen sein, die die Kölner Polizisten verfasst hatten. Darin ist die Rede von Übergriffen gegen Frauen, begangen durch eine Gruppe von Männern, die als Nordafrikaner beschrieben wurden. Explizit wird eine Vergewaltigung mit einem Finger erwähnt. Der Anrufer wollte laut Aussage der beiden Polizisten erreichen, dass die Formulierung "Vergewaltigung" gestrichen oder die ganze Meldung storniert wird. Angeblich sei dies der Wunsch des Ministeriums.
Wenn das stimmt, wäre das womöglich ein Vertuschungsversuch - und Jäger hätte ein Problem. Doch der Innenminister weist diesen Verdacht im Ausschuss "entschieden zurück". Es sei nicht klar, wer der Anrufer gewesen sei, sagt Jäger. Die Landesleitstelle sei überhaupt nicht dafür zuständig, mit Polizisten vor Ort über Formulierungen in WE-Meldungen zu diskutieren. Ob es trotzdem jemand aus der Leitstelle gewesen sei, habe sein Ministerium nicht klären können. Das, so Jäger, sei nun Aufgabe des Untersuchungsausschusses, das Ministerium habe potenzielle Zeugen nicht beeinflussen wollen.
Jäger: "Der Anruf ist völlig unerheblich"
Zufrieden sind CDU und FDP mit diesen Aussagen nicht. Immer wieder kommen sie auf den mysteriösen Anrufer zurück. Bis Jäger die Geduld verliert: Wenn man bedenke, was den Frauen passiert sei, sei der Anruf "völlig unerheblich". Das Wort "Vergewaltigung" sei schließlich nicht gestrichen worden, und er selbst habe die WE-Meldung erst nach dem Telefonat gesehen.
Tatsächlich geht es bei dieser langen Zeugenbefragung weniger um den Einsatz und die massenhaften Übergriffe gegen Frauen. Am Rande nur wird über mögliche Verfehlungen der Polizei gesprochen. Im Fokus stehen politische Fragen: Wann haben Jäger und die Ministerpräsidentin die Dimension der Vorfälle erkannt? Jäger bleibt dabei, dass er aus den ersten Polizeimeldungen nicht erahnen konnte, was wirklich vorgefallen sei. Er bekomme täglich WE-Meldungen, in fast allen gehe es um Verbrechen, "und diese eine ragte nicht heraus".
Der Innenminister ist nicht bei Facebook oder Twitter
Erst am 4. Januar, nach einer Pressekonferenz des damaligen Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers, sei Jäger aufgegangen, dass viel mehr passiert war als angenommen. Am selben Tag will Jäger erstmals über die Silvesternacht mit Hannelore Kraft (SPD) telefoniert haben. Vorher habe er keinen Grund gesehen, mit der Ministerpräsidentin darüber zu sprechen. Ob Jäger denn nicht schon vorher über Online-Medien oder soziale Medien wahrgenommen habe, dass es keineswegs eine normale Silvesternacht war, will Marc Lürbke von der FDP wissen. Jäger verneint: "Ich bin nicht bei Facebook, ich bin nicht bei Twitter. Das Internet nutze ich für private Recherchen." Es ist eine der wenigen Aussagen, mit denen sich der Minister angreifbar macht.