Im Zeugenstand sitzt an diesem Dienstagmorgen (12.07.2016) im Düsseldorfer Landtag Martin Hövelkamp. Als Kriminalkommissar war er am Neujahrsnachmittag aus der Freizeit zur Arbeit gerufen worden. "Du musst kommen", habe seine Chefin gesagt, es gebe eine "Lage". Zu diesem Zeitpunkt hätten bereits 24 Anzeigen aus der Silvesternacht vorgelegen, sagt Hövelkamp. Er und sein Team hätten dann versucht, sich ein Bild davon zu machen, was genau vor dem Kölner Hauptbahnhof passiert sein könnte. Sein Eindruck zu diesem Zeitpunkt: "Das hier nimmt Formen an, die bisher so nicht vorstellbar waren." Die Einsatzberichte der Kollegen aus der Silvesternacht selbst habe er nicht gelesen, dafür sei keine Zeit gewesen. Er habe sich ganz auf die Anzeigen und deren Inhalt konzentriert. Aus den Worten des Polizisten klingt pure Überforderung.
"Megaaufstand": Keine Nachfrage aus dem Ausschuss
Und Hövelkamp sagt auch diesen Satz: "Es war klar, dass es einen Megaaufstand geben würde, wenn bekannt wird, dass die Täter alle als Nordafrikaner oder Araber beschrieben wurden". Aus den Reihen der Parlamentarier im Ausschuss kommt auf diesen Satz keine Nachfrage. Dabei hatten vor allem CDU und FDP, auf deren Antrag hin der Untersuchungsausschuss gebildet wurde, unter anderem das erklärte Ziel, herauszufinden, wer was zu welchem Zeitpunkt wusste und warum die Details der katastrophalen Nacht erst so langsam an die Öffentlichkeit kamen. Am nächsten Tag, fährt Hövelkamp fort, gingen weitere fünf Anzeigen ein, und nachdem auch in der Presse über die Vorfälle berichtet worden war, lag die Zahl der Strafanzeigen am vierten Tag bereits bei 92 - viele davon wegen sexueller Belästigung. Am 4. Januar, so berichtet der Polizist, habe er die Einsatzleitung an eine neue Ermittlungsgruppe abgeben müssen. Den Grund dafür habe er bis heute nicht erfahren.
Dom stand "massiv unter Beschuss"
Als nächste Zeugin wird Barbara Schock-Werner befragt. Die Kunsthistorikerin war bis 2012 Dombaumeisterin in Köln und hatte, wie jedes Jahr, am Silvesterabend den Jahresabschlussgottesdienst im Dom besucht, der um 18.30 Uhr beginnt. Sie erlebte, wie die Kirche während der gesamten Messe vom Bahnhofsvorplatz aus mit Böllern und Leuchtraketen beschossen wurde. Bereits ab 18.15 Uhr habe der Dom "massiv unter Beschuss gestanden", berichtet sie. So laut hätten die Knaller im Inneren widergehallt, dass die Predigt des Erzbischofs teilweise nicht zu verstehen gewesen sei. Sie habe Angst vor einer Massenpanik unter den Dombesuchern gehabt, sagt Schock-Werner.
Hatte die Polizei die Lage schon viel früher nicht mehr im Griff?
Nachdem der Dom im Jahr 2005 an Silvester erstmals Ziel heftiger Böllerangriffe geworden war, habe sie alljährlich mit der Polizei eine Abmachung gehabt, "ein bisschen aufzupassen". Das habe dann auch immer gut funktioniert - bis auf die Silvesternacht 2015: "Diesmal war der Beschuss deutlich stärker". Ein Kirchenmitarbeiter, der jedes Jahr gegen zwei Uhr in der Neujahrsnacht auf die Dächer des Doms steigt, um die Reste der Silvesterraketen einzusammeln, habe in diesem Jahr doppelt so viel davon vorgefunden wie in den Jahren zuvor. Die Ex-Dombaumeisterin ist sich sicher: Die Polizei hätte schon um 19 Uhr merken können, "dass sie die Lage nicht mehr im Griff hat".
Ob ihr beim Betreten oder Verlassen der Kirche "ungewöhnliches Publikum" auf der Domplatte aufgefallen wäre, will ein Ausschussmitglied wissen. Sie habe beide Mal nicht den Nordeingang an der Bahnhofseite, sondern einen Seiteneingang am Roncalliplatz benutzt, antwortet Schock-Werner. Dort sei es zwar sehr voll gewesen, aber ihr sei nichts Besonderes aufgefallen. Ob die Sexualstraftäter der Nacht auch diejenigen waren, die den Dom beschossen, bleibt allerdings ungeklärt. Schon in der Silvesternacht 2013/14, das fällt der ehemaligen Dombaumeisterin dann noch ein, hätten Randalierer mit einer Silvesterrakete ein Loch in ein Fenster geschossen.