Noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft, warum ein Polizei-Einsatz in der Dortmunder Nordstadt am 8. August aus dem Ruder lief und ein 16jähriger Flüchtling aus dem Senegal dabei erschossen wurde.
12 Polizeibeamtinnen und -beamte waren zur Stelle, um einen Jugendlichen davon abzubringen, sich selbst mit einem Messer zu verletzen. Damit hatte er nach bisherigem Kenntnisstand zuvor gedroht.
Da die direkte Ansprache offenbar nicht weiterhalf, versuchte die Polizei den Flüchtling erst mit Pfefferspray, dann mit zweimaligem Beschuss aus einem Distanzelektroimpulsgerät (DEIG), dem sogenannten Taser, zu überwältigen. Dem WDR-Magazin Westpol liegt exklusiv die Dienstanweisung für den Einsatz dieser Waffe vor. Darin heißt es:
Ermittlungen gegen Polizeibeamte
Tatsächlich hat in diesem Fall die Schützin einmal ihr Ziel verfehlt. Ein zweiter Schütze traf den Jugendlichen zwar, aber ohne dass ein Stromschlag ausgelöst wurde. Ein dritter Schütze erschoss den Jugendlichen dann mit einer Maschinenpistole. Ob von dem Jugendlichen auf dem abgelegenen Hinterhof überhaupt eine Bedrohung ausging, muss jetzt die Staatsanwaltschaft klären. Sie ermittelt gegen insgesamt 5 beteiligte Beamte.
Die FDP im Düsseldorfer Landtag, die den Taser grundsätzlich befürwortet, kritisiert, die Polizei selbst habe durch den Einsatz des Pfeffersprays erst eine dynamische Situation geschaffen habe, nachdem der Jugendliche zuvor ruhig mit dem Messer an eine Wand gelehnt gesessen habe. Ihr innenpolitischer Sprecher Marc Lürbke will jetzt von Innenminister Reul wissen, wie die Beamten genau geschult waren und inwiefern der in seinen Augen regelwidrige Einsatz des Tasers in künftige Schulungen einfließt.
Nur wenig Anwendungsmöglichkeiten für Taser
In NRW läuft bis 2024 eine Testphase für den Taser. Kein Bundesland hat mehr dieser Elektro-Waffen. Die Regierungsfraktionen von Grünen und CDU sind uneins über den Einsatz. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern wird der Taser hier auch von Streifenbeamten eingesetzt. Das ist flächendeckend nur noch in Rheinland-Pfalz der Fall. Kritiker bemängeln zudem, dass es nur wenige Szenarien gebe, in denen der Taser sinnvoll zum Einsatz gebracht werden könne.
Polizeiwissenschaftler Martin Thüne hält den Einsatz für illegitim, wenn nicht eine „gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben drohe“. Außerdem verbiete er sich bei Minderjährigen, bei Schwangeren, bei psychisch Kranken und anderweitig vorgeschädigten Personen. In den Dienstanweisungen wird auch darauf hingewiesen, dass die Person nicht in Bewegung sein und keine andere Person gefährdet sein dürfe.
Wie sinnvoll sind Taser-Einsätze?
Polizeiwissenschaftler Thüne stellt die Frage: „Wenn man das jetzt alles abzieht, was bleibt dann noch übrig?“ Er zweifele deshalb daran, dass Aufwand und Risiko den Nutzen überhaupt noch rechtfertigen.
Die Befürworter betonen dagegen die hohe abschreckende Wirkung der Waffe. Nach Angaben des Innenministeriums reiche es bei drei von vier Fällen bereits, mit dem Einsatz des Tasers zu drohen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. In diesem Jahr sei die Waffe schon 500 mal zum Einsatz gekommen.
Gesundheitliche Gefahren durch Taser?
Verschärft wird die Diskussion um den Taser seit drei Wochen durch einen weiteren Todesfall. Wieder in Dortmund. Dort war ein 44jähriger Mann nach einem Taserbeschuss ums Leben gekommen. Er soll betrunken gewesen sein und habe die Beamten angegriffen. Allerdings war er außerdem schwer herzkrank. Die Obduktion konnte anschließend „eine Kausalität zwischen Tasereinsatz und Todeseintritt nicht sicher feststellen.“
Auch wenn die gesundheitlichen Gefahren bei Medizinern umstritten sind - Menschenrechtsorganisationen halten sie angesichts von mehr als 800 Todesfällen allein in den USA für belegt.
In NRW haben die Koalitionsparteien CDU und Grüne vereinbart, die Einsatzerfahrungen bis 2024 wissenschaftlich und unabhängig überprüfen zu lassen. Beide Parteien haben gegenüber Westpol eingeräumt, das könnte auch den völligen Verzicht auf den Taser zur Folge haben. Damit würde dann ein mindestens 60 Millionen teures Missverständnis beendet.
Der WDR berichtet über dieses Thema in den Hörfunknachrichten und in der Sendung Westpol am 06.11.2022